Nach einer kleinen Zwangspause, die mit einem Online-Event überbrückt werden konnte, kehrt das „Braunschweig International Film Festival“ dieses Jahr wieder zurück. Die Kinos und Veranstaltungssäle öffneten sich, um den Besuchern ein buntes Programm zu präsentieren. Ein kleiner Rückblick auf ein großes Filmfestival.
Das „Braunschweig International Film Festival“ öffnet sich. Dies wurde bereits in einem Interview im offiziellen Programmheft mit der neuen Programmkoordinatorin Karina Gauerhof deutlich. Zu ihren ersten filmischen Erfahrungen gehörte nach eigener Aussage das Horror-Remake „Der Blob“ („The Blob“) aus dem Jahre 1988. Mittlerweile ein Kultfilm des 1980er-Jahre-Horrorkinos. Das Phantastische Kino, vor allem aus dem populären Mainstream, hatte es in Deutschland nie leicht. Das Publikum war immer vorhanden – das Fantasy Filmfest beweist dies seit mehr als dreißig Jahren eindrucksvoll –, doch das Prestige fehlte stets. Dies können eben nur seriöse Festivals und Events bieten. Rein subjektiv betrachtet hat sich das Braunschweiger Filmfestival dafür nun endgültig geöffnet. Dies machte vor allem die Vorführung von Edgar Wrights britischem Horror-Thriller „Last Night in Soho“ (2021) deutlich, der im Universum Filmtheater Freitagnacht um 23.15 Uhr vor ausverkauftem Publikum präsentiert werden konnte (im Universum wurde übrigens letztes Jahr auch die Wiederaufführung von George A. Romeros „Zombie“ gezeigt). Zeitgleich lief übrigens der US-amerikanische Actionfilm „Stirb langsam – Ein guter Tag zum Sterben“ („A Good Day to Die Hard“, 2013). Die Besucherzahl kann ich leider nicht verifizieren, aber Hauptdarsteller Sebastian Koch soll persönlich vor Ort gewesen sein, um den Film anzukündigen. Denn dieser erhielt im Rahmen des Festivals vollkommen verdient „Die Europa“, den Festivalpreis für besondere künstlerische Leistungen im Schauspielbereich, und im Rahmen dieser Verleihung wurde eine Auswahl seines Werks auf der großen Leinwand präsentiert, wozu neben dem Oscar®-prämierten Meisterwerk „Das Leben der Anderen“ (2006) oder dem Fernsehfilm „Speer und Er – Teil 3: Spandau – Die Strafe“ (2005) eben auch der Actionfilm „Stirb langsam – Ein guter Tag zum Sterben“ gehörte. Natürlich steht dies in einem Kontrast zum restlichen Programm, aber es ist eben auch ein wundervoller inhaltlicher Gegensatz, der zahlreiche Zuschauer- und Interessengruppen genre- und generationenübergreifend einfängt.
Eröffnet wurde das Festival mit einem ganz besonderen Konzert. Die Filmmusik zu Paul Wegeners und Carl Boeses expressionistischen Meisterwerk „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (1920) wurde im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig vom Staatsorchester Braunschweig aufgeführt. Hierbei handelte es sich wohlgemerkt um die lang verschollen geglaubte Premierenfassung von Komponist Hans Landsberger. Dazu wurde selbstredend die restaurierte Fassung des Films auf der großen Leinwand projiziert. Doch bei dem Meisterwerk aus dem Jahre 1920 blieb es nicht. Am darauffolgenden Tag durften die Besucher einer Podiumsdiskussion beiwohnen, die die Bedeutung des Werks hervorhob und übrigens auch die Adaption der Zeichentrickserie „The Simpsons“ (1989–) erwähnte und auch die Erstverfilmung aus dem Jahre 1915 rekonstruierte. Wer mit diesem Themenschwerpunkt allerdings etwas haderte, der konnte wiederum abends dem Prag des 16. Jahrhunderts entfliehen und in das New York City der 1970er-Jahre abtauchen. Die Musik-Doku „Lydia Lunch: The War is never over“ (2019) über die No-Wave-Ikone und Performance-Künstlerin Lydia Lunch wurde im Universum Filmtheater präsentiert. Nur ein Beispiel für die große Vielfalt an unterschiedlichen Produktionen.
Jedes präsentierte Werk wurde vorab eingeführt. Nicht immer war dies gelungen. Zur Weltpremiere der deutschen Dramödie „Die wahre Schönheit“ (2021) war Produzentin Eva Habermann mit Cast und Crew angereist. Die Präsentatorin wies in Anwesenheit von Cast und Crew darauf hin, dass der Film innerhalb der Programmleitung bei der Auswahl nicht nur heiß diskutiert, sondern unter anderem auch als „Trash“ bezeichnet wurde. Als Zuschauer nahm man dies fast schon entschuldigend und somit abwertend wahr und war leider dementsprechend irritiert. Selbst wenn es Stimmen innerhalb der Programmleitung gab, den Film nicht aufzuführen, so weist man (insbesondere auf der Weltpremiere!) vor zahlendem Publikum doch nicht darauf hin und wertet damit in Anwesenheit der Macher das Werk ab … Dass dies auch anders geht, zeigte abermals die sogenannte „At Midnight“-Reihe von Clemens Williges, die sich jedes Jahr thematisch um Mitternacht einem bestimmten Thema widmet und hierbei auch stets neue Genrefilme als auch Klassiker präsentiert. Diesmal geschah dies in Kooperation mit dem genossenschaftlichen Filmverleih Drop-Out Cinema, der unter anderem den belgischen Thriller „Hunted – Waldsterben“ (2020) präsentierte. Eine Empfehlung am Rande, die insbesondere durch die diabolische Schauspielleistung von Arieh Worthalter glänzt. Am Abend darauf wurde das kontroverse Werk „Singapore Sling“ (1990) gezeigt, welches von dem HBK-Dozenten (und zukünftigen Dr.) Christoph Seelinger eingeführt wurde. Ein Film, den nicht alle Zuschauer bis zum Ende anschauen konnten oder wollten.
Als inoffizielle Premiere, wenn man dies so bezeichnen möchte, wurde allerdings schon Samstag Nacht vor dem Filmfestival die kanadische Slasher-Hommage „Vicious Fun“ (2020) aufgeführt. Offiziell gehörte diese nicht zum Festivalprogramm, allerdings wurde dies von einigen Besuchern als eine Art Soft-Opening wahrgenommen, auch, weil der Veranstalter der „At Midnight“-Reihe den Film präsentierte. Und so konnte man vor dem Universum Filmtheater ein Gespräch zwischen zwei jungen Besucherinnen, sicherlich nicht älter als Anfang 20, wahrnehmen, die begeistert über „Vicious Fun“ sprachen und – obwohl in Braunschweig ansässig – erst durch diese eine Aufführung auf das Filmfestival aufmerksam wurden. Sicherlich neben „Last Night in Soho“ ein weiterer Beleg dafür, dass Genre-Vielfalt (auch in Hinblick auf populäre Stoffe) bereichert und das Festival für „neue“ Zuschauergruppen öffnen kann, ohne dass hierbei quasi der Markenkern – die Präsentation von anspruchsvollen europäischen Kulturkino – zu leiden hat.
Das „Braunschweig International Film Festival“ hat sich geöffnet. Die Veränderungen – zumindest aus einer rein subjektiven Wahrnehmung – machen sich positiv bemerkbar. Es widerspricht sich eben nicht, wenn „Der Golem“ und „Lydia Lunch“ eine letzte Nacht in „Soho“ verbringen und dabei einen „vicious fun“ haben. Wirkte das Filmfestival noch vor wenigen Jahren als etwas schwerfällig, wurde es nun von einer gewissen Leichtigkeit und Lockerheit begleitet. Dies macht große Hoffnung (und Freude) auf die Zukunft des Festivals.
‐ Markus Haage
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