Die dystopische Serie „The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd“ scheint in Deutschland kaum bekannt zu sein oder erhält zumindest subjektiv zu wenig Aufmerksamkeit. Ein guter Grund diese als Empfehlung hervorzuheben.
Die Serie handelt von einem zukünftigen Amerika, welches nach Terror und Krieg in eine religiös-faschistische Diktatur umgewandelt wurde. Frauen besitzen keinerlei Rechte mehr. Die wenigen Frauen, die nach dem Atomkrieg noch gebärfähig sind, müssen ihre Identität ablegen und als Magd einem sogenannten Kommandanten dienen, um sich von ihm schwängern zu lassen. So oft wie nötig. Eine Flucht oder Ausreise ist verboten und wird als Verrat mit dem Tode bestraft. Dieser neue Staat, der vor allem die Ostküste der ehemaligen USA kontrolliert, nennt sich Gilead. Der Name leitet sich von einem (fiktiven) biblischen Land ab. Der Mittlere Westen dient als Kolonie und Verbannungsort. Die (ursprünglichen) USA bestehen nur noch aus dem unabhängigen Alaska und Hawaii, für deren Schutz sich Kanada verantwortlich sieht.
Die Macher gehen in ihrer Darstellung der religiösen Diktatur sehr intelligent vor. Es ist kein Zufall, dass katholische Kirchen abgerissen und „unzüchtige“ Frauen beschnitten werden, damit sie keine Lust mehr empfinden können, oder das „Geschlechts-Verräterinnen“, die mit anderen Frauen geschlafen haben, an einem Kran öffentlich aufgehängt werden. Genauso wie man Gegner der Islamischen Revolution im Iran öffentlich an Kränen aufhing, oder wie junge Mädchen in afrikanischen Ländern zwangsbeschneidet werden, oder wie Frauen einen Jungfrauentest in Indonesien ablegen müssen, um beim Militär arbeiten zu dürfen. Nicht zu vergessen die erz-evangelikanischen Fanatiker in den USA, die vor Abtreibungskliniken demonstrieren, gar Abtreibungsärzte exekutieren oder den zig christlichen Sekten, die bereits eine eigene US-Flagge entworfen haben und von einem Gottesstaat träumen, aber auch fanatische Juden in Jerusalem, die in ihren Stadtvierteln Frauen sogar die Benutzung bestimmter Straßenseiten und Plätze verbieten, als auch das Tragen von offener Kleidung. In El Salvador können vergewaltigte Frauen ins Gefängnis kommen, wenn sie abtreiben lassen oder durch den psychischen Druck eine Fehlgeburt haben. Von den Fahrverboten für Frauen in Saudi-Arabien (vor wenigen Wochen aufgehoben) oder den Zwangsverheiratungen unter indischen Hindus und dem in Indien etablierten Kastensystem ganz zu schweigen. Natürlich werden auch Verweise auf politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Totalitarismus gelegt. Von den nord-koreanischen Konzentrationslager über die öffentlichen Massenhinrichtungen in China als auch den autokratischen Tendenzen im Westen (Trump, I.C.E., Fake-News, etc.). Das ist alles Realität, keine Fiktion. Die Serie saugt dies alles auf und vereinigt es unter einem fiktiven religiös-faschistischen Banner.
Diese im Grunde ikonischen Bilder und Ereignisse aus der Realität repräsentieren in „The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd“ keinen einzelnen Glauben, auch nicht zwingend eine bestimmte politische Ideologie (da faschistische, religiöse als auch sozialistische Diktaturen eben ähnlich funktionieren), sondern referenzieren faschistische Religionsbewegungen aus allen Kulturkreisen in ihrer Gesamtheit, hinter denen oftmals dieselben Dynamiken und Mechanismen stehen. Sie werden in der Serie absichtlich miteinander vermischt, wobei die religiöse Diktatur natürlich eine gewisse kulturelle Prägung inne hat, damit sie glaubwürdig erscheinen kann. Ohne Glaubwürdigkeit kein überzeugendes Drama, denn schließlich spielt die Geschichte in Nord-Amerika (ein islamisches Kalifat oder eine tamilische Kaste wäre vollkommen unrealistisch gewesen), weswegen sie sich vornehmlich bestimmter westlicher Ikonografien bedienen muss (es wird allerdings keinerlei christliche Symbolik verwendet, mit Ausnahme von ein paar losen Bibelzitaten hier und da). Die Serie ist aber global gedacht, auch wenn sie lokal spielt. So ist die religiös-faschistoide Gesellschaft auch multikulturell und trennt sich eben nicht nach ethnischen Hintergrund, sondern nur noch in Gläubige und Ungläubige. (Nachtrag, April 2021: Die Ausrichtung auf christliche Symbole hat sich in der dritten Staffel verstärkt, was sicherlich den aktuellen politischen Ereignissen zuzurechnen ist – man denke hierbei an den Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 –, aber dennoch nichts an der „globalen“ Ausrichtung ändert.)
„The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd“ ist eine bittere Serie, die die Kamera nicht wegblendet, sondern gnadenlos drauf hält. Sie ist hier aber sehr differenziert und zeigt auch auf, dass selbst die vermeintlich Herrschenden Gefangene ihrer eigenen Diktatur sein können und das auch Opfer schnell zu Tätern werden können. Bereits die erste Episode der ersten Staffel macht dies auf drastische Art und Weise deutlich.
Die dystopische Vision wird von Rückblenden unterbrochen, die das Leben vor und während des Machtwechsels aufzeigen. Manch einer mag hier monieren, dass dieser Wandel aus produktionstechnischen Gründen zu schnell von statten geht, auch weil kaum ein Alterungsprozess der Hauptdarsteller zu erkennen ist. Schaut man sich aber Revolutionen der Vergangenheit an, und sei es nur die bereits erwähnte Islamische Revolution im Iran, so können diese tatsächlich extrem schnell und drastisch eine Gesellschaft umformen. Die Nazis übernahmen am 30. Januar 1933 die Macht in Berlin. Bereits sieben Wochen später, am 22. März 1933, wurde das erste KZ, das Konzentrationslager Dachau, eröffnet. Vier Wochen später wurden die Gewerkschaften verboten.
Die Serie basiert auf dem Roman „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood. Dieser wurde bereits 1989 von Volker Schlöndorff unter dem Titel „Die Geschichte der Dienerin“ verfilmt. Die Serien-Adaption umfasst mittlerweile zwei Staffeln. Eine dritte ist derzeit in Produktion. Nach „Westworld“ oder „The Leftovers“ gehört sie wohl zu den inhaltlich und inszenatorisch anspruchsvollsten Serien-Verfilmungen der letzten Jahre, die man nicht missen sollte.
In diesem Sinne: „Nolite Te Bastardes Carborundorum, bitches!“
‐ Markus Haage
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