Revolte in Neo-Tokio! Geldgierige Energie-Faschisten planen ein Atom-Kraftwerk zu errichten – genau dort wo der japanische Punk-Rock haust!
Unter den Punks in Neo-Tokio macht sich Frust breit. Ihr altes Industrie-Viertel, von ihnen nur selbstironischisch Bakuretsu toshi (Burst City) genannt, soll abgerissen werden. Nie wieder Konzerte, nie wieder Autorennen, nie wieder Freiheit. Der Grund für den Abriss stellt ein Atomkraftwerk dar, dass der überschwellenden Metropole Neo-Tokio den Saft fürs (weiter-)Leben bereitstellen soll. Doch die Punks wollen nicht kampflos aufgeben. Sie formieren den Widerstand und greifen zu den Waffen. Ihren Waffen, dem Punk Rock.
Kurz, knackig, spektakulär: das der narrative Teil von „Burst City“ wohl eher ein Aufhänger für einen Musikfilm ist, dürfte klar sein. So verwundert es auch nicht, dass alle (gefühlten) drei Minuten ein neues Musikstück vorgeführt wird, in der Regel Mitschnitte von Live-Konzerte hiesiger Punk-Bands. Regisseur Sôgo Ishii schafft es allerdings diese auf sehr unkonventionelle Art und Weise in den Film einzubinden – indem er den gesamten Streifen als überdrehtes und experimentelles Musikvideo erklärt, versüßt mit einigen absichtlich überzogenen erzählerischen Momenten. Die Geschichte um den finsteren Energie-Konzern, der in Neo-Tokio die alten Industriebauten abreißen will, um dort sein AKW hinzupflanzen, ist natürlich nicht per Zufallsmodus gewählt wurden und stellt bereits an sich eine surreale Überspitzung der damaligen Realität dar. Das Japaner seit jeher dem mächtigen Atom skeptisch gegenüberstehen, dank der Mithilfe der US Airforce auch vollends zurecht, ist kein Geheimnis. Bereits 1954 verarbeitete Ishirô Honda die gesellschaftliche Angst vor dem nuklearen Spiel mit dem Feuer im Monsterklassiker „Godzilla“, 30 Jahre später wird Sôgo Ishii diese Ängste selbstironisch aufgreifen. In seiner Endzeitwelt Burst City, sind nun die verfallenen Hallen des Industriezeitalters die denkmalwürdigen Bauten, die einer jungen Subkultur Platz zur Entfaltung geben. Hier dösen keine deutschen Umweltschützer im Häkel-Pulli rum, bilden Menschenketten und möchten ein Sumpfloch vor Baggern schützen, hier ist das Habitat der Jugend bedroht – zwar ein Industrie-Moloch einer futuristischen Metropole, aber eben ihr Moloch. Ihr Heim. Ihr Zuhause. Die Um- und Zustände, so wie sie sind, werden akzeptiert, es wird damit gespielt und kokettiert. Es ist ihr Habitat – hier herrschen sie und können sich entfalten. Anarchie – not for JP, but at least for themselves. Das nun das große böse Atom sie verdrängen will und die Punks damit um ihr Heil fürchten müssen, birgt schon eine gewisse Ironie. Denn damit teilen sie die gleichen Ängste der bürgerlichen Gesellschaft. Es ist der Bürger-Schreck, der mit dem Bürgertum ein gleiches Ideal teilt.
Wie bereits angesprochen setzt Sôgo Ishii auf die Umsetzung seiner Welt auf sehr unkonventionelle Mittel. „Burst City“ ist experimentell angelegt. Nicht nur um die Konzert-Aufnahmen mit dem Rest des Films zu verbinden, sondern natürlich auch als künstlerisches Statement. Es ist in gewissermaßen ein filmischer Schrei, ein Faustschlag ins Gesicht. Eine Auflehnung der Jugend. Eine Revolte, ein Umsturz. Mit jedem einzelnen Filmbild. Wir sind nicht wie ihr, wir wollen nicht sein wie ihr, aber kämpfen trotzdem für dieselbe Sache. Mit unserem Mitteln. Um unsere Welt zu bewahren.
Der Film setzt sich absichtlich über konventionelle Sehgewohnheiten hinweg – Filmfans, die den teils sehr berechenbaren und sterilen Hollywood-Streifen frönen, werden zweifelsohne massive Probleme haben, sich mit dem Werk anzufreunden. Der Streifen ist zwar etwas schwer zugänglich und dürfte letztlich die Gemüter spalten, aber dennoch sollte jeder Fan des japanischen Kinos einen Blick wagen. Nur alleine um seinen filmischen Horizont zu erweitern. Diese abseitige Dosis Film und Punk-Rock würde wohl nicht einmal Arte im Mitternachtsprogramm zeigen – denn dort herrscht die exzentrische Euro-Kunst, hier der japanoide Anarchie.
„Burst City“ schaffte es leider nie über Japan hinaus. Lediglich in den USA erschien 2005 eine kleine DVD-Auflage, die allerdings auch nur für die Fans des abseitigen japanischen Films ausgerichtet war. In Japan hingegen besitzt Sôgo Ishiis reißerischer Punk-Kampfschrei schon lange Kultstatus.
Fatality:
Laut, wild, experimentell. Kunstwerk, Musikfilm, Zeitdokument. Der erste wahre Cyberpunk-Film ist ein filmisches Maschinengewehr – und jeder Schuss ein Treffer.
‐ Markus Haage
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