Nach einer neuen Filmtrilogie und mehreren Spin-Off-Filmen, die allesamt vor allem in der Kritik der Fans standen, scheint sich das „Star Wars“-Franchise unter Disney nun als Serienformat etabliert zu haben. Mehr als zehn Serien sind derzeit in Produktion. Doch mit jeder weiteren geht der Zauber des „Krieg der Sterne“-Universums etwas verloren. Vielleicht auch, weil man durch die Dauerpräsenz den ikonischen Schauplätzen und Charaktere die Mystik und Einzigartigkeit raubt.
Drei Episoden von „The Book of Boba Fett“ sind nun auf Disney+ abrufbar (Stand: Mitte Januar 2021). Die Reaktionen scheinen eher gemischt zu sein. Journalist und Drehbuchautor Torsten Dewi schrieb auf seinem Blog „Wortvogel.de“, dass bei der neuen Serie „rein gar nichts passt“. Ganz so harsch ist meine persönliche Empfindung nicht, aber die Serie hat zumindest gewisse Anlaufschwierigkeiten. Die ersten beiden Folgen hätten beispielweise problemlos eine Episode darstellen und somit einen weitaus größeren Impact hinterlassen können. Viele bedeutende Momente sind lediglich Callbacks auf Schauplätze der Vergangenheit oder auf bereits etablierte Figuren und Settings. Besonders prägnant trifft dies auf den Haupthandlungsort Tatooine zu, den wir im weiteren Verlauf der Serie sicherlich nicht so schnell verlassen werden. Der Planet war ursprünglich in „Krieg der Sterne“ („Star Wars“, 1977) ein Wüstenkaff, der letzte Ort, an dem man leben wollte. Jetzt scheint es eines der Zentren des Universums zu sein. Paradoxerweise nicht mehr der Ort, an dem man eine Person wie Luke Skywalker (Mark Hamill) verstecken würde, weil schlichtweg zu viele zwielichtige Gestalten – wohlgemerkt Gestalten, die ihre eigene Mutter für ein paar Credits ausliefern würden – dort ihre Zuflucht finden, was wiederum stets für Aufregung unter allen bedeutenden Organisationen, vom Imperium bis hin zu einem Syndikat, sorgt.
Die „Vergrößerung“ von Tatooine fand schon mit dem Eröffnungskapitel (die Befreiung Han Solos) in „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ („The Return of the Jedi“, 1983) statt. Allerdings bezog sich dies nur auf einen weiteren Teilaspekt des Planeten, nämlich Jabbas Palast, dessen Hausherr und Namensgeber in der ursprünglichen Schnittfassung von „Krieg der Sterne“ bereits auf Han Solo (Harrison Ford) traf. Es existierten auf Tatooine neben rauen Feuchtfarmern, drolligen Jawas, wilden Sandleuten und angetrunkenen Aliens dann eben doch noch ein paar weitere Gruppierungen, die aber nie mächtig genug erschienen, um dem Wüstenkaff eine zu große Bedeutung zu geben. Sie konnten sich dort verstecken, eben weil sich niemand für Tatooine interessierte („Mos Eisley Raumhafen. Nirgendwo wirst du mehr Abschaum und Verkommenheit versammelt finden als hier.“). So sagte Luke Skywalker noch im Originalfilm:
„Wenn das Universum ein helles Zentrum hat,
bist du auf diesem Planeten am weitesten davon weg.“
— Luke Skywalker in „Krieg der Sterne“ („Star Wars“, 1977)
Geändert wurde dies aber bereits mit der sogenannten Special Edition von „Krieg der Sterne“ aus dem Jahre 1997, der den Raumhafen von Mos Eisley visuell drastisch erweiterte und bevölkerte (einen umfangreichen Schnittbericht von mir zu den drastischen Abänderungen findet ihr hier). Inhaltlich wurde aus Tatooine mit „Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung“ („Star Wars: Episode I – The Phantom Menace“, 1999) endgültig einer der zentralen Handlungsorte der Saga. So ist Anakin Skywalker, der Auserwählte, der „die Macht ins Gleichgewicht bringen wird“, nicht nur auf dem Planeten geboren, sondern wird zu diesem auch zurückkehren, um in „Star Wars: Episode II – Angriff der Klonkrieger“ („Star Wars: Episode II – Attack of the Clones“, 2002) seine Mutter zu rächen.
„The Mandalorian“ (2019–) entschied ebenfalls zahlreiche Episoden der ersten beiden Staffeln dort anzusiedeln und verarbeitete hierbei unzählige Referenzen auf die recht wenigen Minuten, die wir in „Krieg der Sterne“ auf dem Planeten verbringen. Selbst die Cantina von Mos Eisley wurde bereits in der ersten Season zu einem erneuten Handlungsort und der Krayt-Dragon, vorab nur ein Skelett im Sand, zu einer Bedrohung in der zweiten Staffel. Nun ist Tatooine Teil des Universums. Die Welt des Planeten existiert. Zu dieser zurückzukehren ist nicht das Problem, sondern eher die drastische Häufigkeit. Mit „Obi-Wan Kenobi“ (2022) ist bereits eine neue Mini-Serie von sechs Episoden in Produktion, die die Zeit von Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor) im Exil auf Tatooine behandeln wird (wobei der Charakter sicherlich den Planeten auch verlassen wird). Weitere Referenzen auf Tatooine braucht es somit jetzt wahrhaftig nicht mehr, was aber natürlich in gewisser Hinsicht unmöglich erscheint, da der Wüstenplanet die neue Wahlheimat von Fett und somit zentraler Handlungspunkt der gesamten Serie ist.
Auch der Sinneswandel von Fett, vom ruchlosen Kopfgeldjäger, dessen Gefährt einst den menschenverachtenden Namen „Slave-I“ trug, der Jagd auf unsere Helden machte und – absichtlich salopp ausgedrückt – in Jabbas Palast die Alien-Dirnen wegflankte, zu einem ehrenhaften Syndikatsboss, der nicht mehr gefürchtet, sondern respektiert werden will, ist ein harter Twist. Boba Fett war nie ein Held, er war stets ein Schurke. Nun soll er zumindest zu einem Anti-Helden aufgebaut werden, der sich einem gewissen moralischen Kodex unterwirft. Bereits in der dritten Episode „Kapitel 3: Die Straßen von Mos Espa“ („Chapter 3: The Streets of Mos Espa“) verteidigt er Jugendliche gegen den ruchlosen Wasserhändler Lortha Peel (Stephen Root), indem er ihm einen aus seiner Sicht gerechten Handel aufzwingt. Der alte Fett hätte nicht einmal diskutiert, sondern Peel schlichtweg erschossen und sich genommen, was er bräuchte. Der neue Fett darf sein Gefährt aber nicht einmal mehr „Slave-I“ nennen. Die Namensänderung wurde von Disney bereits im Frühjahr 2021 klammheimlich beschlossen.
Als Boba Fett in „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ eher aus Versehen vom noch blinden Han Solo von der Barke in den Schlund des Sarlaccs gestoßen wurde, geschah dies laut Legenden-Bildung absichtlich. Lucas wollte die Figur nicht auf ein Podest heben, sondern sich dieser schnell entledigen, um sich auf die eigentliche Geschichte zu fokussieren. Boba Fett tauchte erstmalig als Charakter in einem Zeichentrick-Kurzfilm im Rahmen des berüchtigten „Star Wars Holiday Special“ (1978) auf. Sein einprägsamer Auftritt in „Das Imperium schlägt zurück“ („The Empire strikes back“, 1980) machte ihn schnell zum Fan-Favoriten. Das Spielzeug von Fett verkaufte sich blendend. Vielleicht zu gut. Lucas haderte mit der Figur und entsorgte sie auf unspektakuläre Weise. Dieser vermeintliche Tod, der schon im alten Expanded Universe durch Comic-Fortführungen negiert wurde, ist nun der Aufhänger von Fetts Sinneswandel. Der Fall in den Sarlacc war eine Schmach. Die Folge war der Verlust von Ansehen, der Verlust der eigenen Rüstung und das Dasein als bedeutungsloser Nomade in der Obhut der Sandleute. Im ursprünglichen Expanded Universe war dies nicht der Fall. Fett besann sich auf seine Stärken zurück, schwor Rache und durfte böse bleiben.
Fetts Wandel wird innerhalb der Serie zumindest recht glaubwürdig dargestellt, auch, weil eine gewisse Zeitspanne seit „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ vergangen ist. Fett steht als Figur nicht still und entwickelt sich natürlich weiter. Man muss sich aber auch nichts vormachen. Dieser Wandel geschah letztlich wohl nur, um die ikonische Figur besser vermarkten und sich nicht mit den harten Ecken und Kanten, die „Krieg der Sterne“ einst auszeichneten, assoziieren zu müssen. Fett ist als Titelfigur einer Disney-Serie natürlich nun zu einem Produkt geworden, dass sich global verkaufen und für die Marke „Star Wars“ werben soll. Zum Serienstart produzierte Disney+ sogar eine Dokumentation mit dem Titel „Unter dem Helm“ („Under the Helmet“, 2021) …
Über die inszenatorische Qualität der Serie muss man nicht lange diskutieren. Es ist Premium-TV, wie man es sich vor zehn Jahren noch nicht hätte erträumen lassen können. Und sicherlich wäre „Das Buch von Boba Fett“ vor Release von „The Mandalorian“ schlichtweg aufgrund seiner Einzigartigkeit wohlwollender aufgenommen wurden. Aber es zeigt eben auch auf, dass die ikonischen Legacy-Charaktere kaum dazu geeignet sind, Serien zu tragen, in denen sie im Mittelpunkt stehen. Zu viel muss erklärt werden, zu viele Handlungsstränge müssen von ihnen zusammengehalten werden. Man muss dann eben stets Kompromisse eingehen und sie letztlich ihrer Mystik und somit Identität berauben. In einem wunderbaren Artikel unter der fantastischen Überschrift „Boba Fett, Intergalactic Man of Mystery“ vertrat Fett-Creator Joe Johnston sogar die krasse Meinung, dass Boba Fett in der Serie niemals hätte seinen Helm abnehmen dürfen. Die bloße Präsenz seines Gesichts würde ihm jeglicher Mystik berauben.
„I never would have shown his face. I would never have had an actor underneath where he takes the helmet off and you see who it is. I think that eliminates a lot of the mystery. Before that helmet comes off, he can be anybody.“
— Joe Johnston im Interview mit „The New York Times“, Dezember 2021
Tatooine als auch Boba Fett haben in gewisser Hinsicht ihre Einzigartigkeit verloren. Nichts kann mehr angedeutet werden oder im Verborgenen bleiben. Alles wird gezeigt, da Handlungszeit gefüllt werden will. Den ikonischen Schauplätzen als auch den ikonischen Legacy-Charakteren wird damit nicht nur ihre Mystik und Einzigartigkeit geraubt, sondern dem Zuschauer auch die Fantasie. Die Figuren und Orte waren in der eigenen Vorstellungskraft immer größer und aufregender als in der Realität des Universums, weil man uns als Zuschauer ganz individuelle Interpretationsspielräume ließ. Nicht jede Ecke musste ausgeleuchtet und jedes Mysterium erklärt werden. Die Devise für die Zukunft sollte lauten: Lasst den Zuschauern ihre Fantasie und besucht neue aufregende und einzigarte Orte und führt neue interessante und eigenwillige Charaktere ein, damit neue Legenden und Ikonen entstehen können.
‐ Markus Haage
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