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Der D-Day ist da: Wie Disney+, Apple TV+, Peacock und Co. die Medienlandschaft grundlegend verändern könnten

verfasst am 14.November 2019 von Markus Haage

Die Medienlandschaft wird sich grundlegend ändern. Das traditionelle Fernsehen und Kino wird mit neuen Mitteln versuchen den Druck der Streaming-Anbieter standzuhalten. Nicht alle werden dies schaffen. Es folgt etwas Spekulation über eine mögliche Zukunft der Medienlandschaft.

Der Star von Disney+: „The Mandalorian“.
(© Lucasfilm Ltd.)

Der D-Day ist da: In den USA, Kanada und den Niederlanden ist Disney+ am 12. November online gegangen. Trotz kleinerer Startschwierigkeiten sind die Abrufzahlen phänomenal. Deutschland und der Rest der Europäischen Union folgen am 31. März 2020. Die Prestige-Serie „The Mandalorian“ erfreut sich auf Disney+ bereits großer Beliebtheit. Ebenfalls das restliche Programm. So sind die klassischen „Star Wars“-Filme sogar in 4k-Qualität abrufbar. Auf Wunsch sind die Inhalte auch als Download erhältlich und weiterhin nutzbar, selbst wenn sie nicht mehr als Stream verfügbar sind (solange man seinen Disney+-Account nicht löscht). Apple TV+ startete ebenfalls, wobei hier das Programm noch extrem überschaubar ist, da Apple schlichtweg über keinerlei Archiv verfügt, das über Jahrzehnte gewachsen ist. Dies wird sich aber ändern. Namhafte Filmemacher, wie etwa Steven Spielberg und J.J. Abrams, produzieren bereits massiv neuen Content für Apple. In den nächsten zwölf Monaten werden weitere Marktriesen folgen. Warner Bros./HBO steht mit HBO Max in den Startlöchern (Mai 2020), genauso wie NBC/Universal mit Peacock (April 2020). Zu Disney+ wird sich auch noch Hulu gesellen, die zu 100 % dem Disney-Konzern gehören und erwachsenen Content produzieren. Von Hulu stammen Serien wie „The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd“ (2017–) oder „Future Man“ (2017–). Ebenfalls investiert Amazon Prime Video massiv in neuen Content. Interessant sind allerdings vor allem die Meldungen am Rande. So ließ Kevin Feige, Präsident von Marvel Studios, bereits verlauten, dass man in Zukunft auch die Disney+-Serien aus dem Hause Marvel Studios kennen müsste, um zukünftige Filme des Marvel Cinematic Universe vollends verstehen zu können. Die Verknüpfung von Kinofilmen und Streaming-Serien ist letztlich wohl nur konsequent.

Diese neuen Entwicklungen werfen grundsätzlich die Frage nach der Zukunft der traditionellen Medienlandschaft auf und laden zur Spekulation ein. Es folgt ein Ausblick über eine neue mögliche Medienlandschaft im Jahre 2030.

Eine mögliche Zukunft…?

In zehn Jahren wird es vielleicht Normalität sein, dass auch große Blockbuster-Filme direkt bei Kinostart in den Streaming-Netzwerken in 4k zu finden sind. Vielleicht gegen einen Aufpreis, wie es derzeit schon bei großen Sportevents, wie etwa Boxkämpfen, im Pay-TV üblich ist, aber finanziell kann es durchaus Sinn ergeben, selbst einen 150-Millionen-Dollar-Film online zu stellen. Die horrenden Marketing-Kosten fallen dann weg oder werden zumindest signifikant geringer. Bei „Godzilla II: King of the Monsters“ (2019) soll nach Branchen-Schätzungen alleine das Promotion-Budget zwischen 100 und 150 Millionen US-Dollar betragen haben. Wohlgemerkt nur, um den eigentlichen Kinostart zu bewerben, für den die Studios im Schnitt gerade einmal 50 % des Ticketpreises erhalten (in China sogar nur 25 %). Hinzu kommen weitere globale Vertriebs- und Personalkosten, nur um dieses System aufrechtzuerhalten. Wenn 30 Millionen HBO Max-Kunden weltweit bereit wären für 10 US-Dollar „Godzilla II“ zum Kinostart in UHD für 12 Stunden zu buchen, dann sind bereits 300 Millionen US-Dollar an Umsatz generiert, die zu 100 % direkt an das Warner-Netzwerk gehen. Der Kinostart kann separat noch laufen und zusätzlich Einnahmen bringen. Netflix hat derzeit 156 Millionen Kunden weltweit.

Anstatt im Kino wurde der Film direkt auf Netflix präsentiert: „The Cloverfield Paradox“.
(© Netflix)

Ein solches Modell ist nicht so weit von der Realität entfernt, wie es sich vielleicht lesen mag. Bereits vor zwei Jahren stellte Netflix die 100-Millionen-Dollar-Produktion „Bright“ (2017) mit Will Smith in der Hauptrolle direkt online. Produktionen wie „The Cloverfield Paradox“ (2018) gingen anstatt an die Kinokasse direkt auf die Streaming-Server. Hierfür spendierte Netflix dem Film sogar einen 30-Sekunden-Spot beim Super Bowl, dem größten Sport-Event der USA. Kosten für den 30-Sekunden-Spot: rund 5,25 Millionen US-Dollar. Die Netflix-Kunden mussten dafür natürlich keine weitere Gebühr zahlen, aber ihre Akzeptanz solche Produktionen in den eigenen vier Wänden anstatt auf der klassischen Leinwand zu konsumieren, war schlichtweg vorhanden. Angeblich wurde „Bird Box“ (2018) mit Sandra Bullock in der ersten Woche bis zu 45 Millionen Mal abgerufen. Warum sollte ein Kino-Blockbuster nicht auf eine ähnliche Akzeptanz stoßen, wenn die Zuschauer dafür letztlich weniger zahlen müssten, als für einen Kinobesuch, der mit einem hohen Zeitaufwand und weiteren Kosten, wie Sprit und Parktickets, verbunden ist?

Aufgrund der hohen Promotion- und Vertriebskosten bleiben einem Filmstudio zudem weniger als die Hälfte des Kinoticketpreises übrig. 600 Millionen Dollar Einspiel an den Kinokassen stellen weniger als 300 Millionen an Einnahmen dar. Zieht man dann die 100-Millionen-Dollar an Marketing-Kosten noch ab, stehen die Direkteinnahmen von 300 Millionen US-Dollar durch verkaufte Streams gar nicht mehr so schlecht dar. Falls man davon ausgeht, dass ein Kinostream nur zehn Dollar kostet. Ein höherer Preis wäre absolut vorstellbar und würde den kommerziellen Nutzen von Streams zum Kinostart drastisch erhöhen. Die Zuschauer würden es zahlen und vielleicht mit Freunden innerhalb eines Streaming-Abends die Kosten teilen. So wie es eben bei den erwähnten Sport-Events bereits der Fall ist. Für den Boxkampf Floyd Mayweather gegen Manny Pacquiao zahlten 24 Millionen Zuschauer. Insgesamt konnte nur dieser einzige Kampf rund 1,6 Milliarden US-Dollar umsetzen (inklusive Verkauf der TV-Rechte, Merchandise, Sponsoring, Pay per Views). 30 Millionen Zuschauer, die bereit sind den neusten Marvel-Event-Film für 15 US-Dollar mit Freunden im Wohnzimmer zu streamen? 450 Millionen US-Dollar an direkten Einnahmen für das Studio, die nicht mit Vertriebspartnern und Kinos geteilt werden müssten. Warum sollten Filme nicht auch Events werden können?

Natürlich ist das eine kleine Milchmädchenrechnung, die im Detail so nicht aufgehen kann, aber es soll nur spekulativ andeuten, was eingespart und umgesetzt werden könnte und die Branche in den nächsten zehn Jahren erwarten wird: nämlich grundlegende Veränderungen.

Für den deutschen Markt könnte diese Entwicklung katastrophale Folgen haben, da die hiesigen Anbieter kaum Programme oder Formate auf dem inszenatorischen Niveau von HBO Max, Peacock, Netflix oder Disney+ produzieren können, um überhaupt nur zu versuchen mitzuhalten. Eine „Herr der Ringe“-Serie mit einem Budget von 1 Milliarde US-Dollar ist in Produktion. Netflix als bekanntester Vertreter hat erst letztes Jahr angekündigt, mehr als 13 Milliarden Dollar in neuen Content zu investieren. Hauptsächlich Serien – mittlerweile hat Netflix über eintausend Eigenproduktionen im Programm –, aber eben auch eigene Filmproduktionen.

Als Einschub: Dies ist der Trailer zur Apple-TV+-Serie „For All Mankind“ (2019–). Es stellt lediglich den inszenatorischen Standard zum Start des neuen Streaming-Anbieters dar. Dies wird nicht die zukünftige Norm sein. Es ist bereits die Norm.

Der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk wird dank sicherer Einkommensquelle Bestand haben, aber wohl drastisch an Zuschauern und somit automatisch an Einfluss verlieren, was allerdings auch generell auf die Fragmentierung der Medienlandschaft zurückzuführen ist. Dennoch wird seine Hauptaufgabe vor allem in der politischen Berichterstattung auf nationaler und auch regionaler/lokaler Ebene von essenzieller Bedeutung sein und eine unersetzbare Kernkompetenz bleiben. Kulturell, im dramaturgischen Entertainment-Bereich, könnte der öffentlich-rechtliche Rundfunk allerdings vollkommen irrelevant werden, wenn man von Formaten, wie etwa die „heute-Show“ (2019–) oder „Neo Magazin Royale“ (2015–) absieht, die eben explizit lokale und vor allem national-politische Inhalte aufbereiten. Netflix und Co. werden an deutscher Innenpolitik kaum Interesse haben.

In den USA gibt es „Die Simpsons“ bereits exklusiv auf Disney+. In Deutschland wird Pro Sieben die Free-TV-Rechte weiterhin halten.
(© Fox Television)

Ein drastischeres Schicksal wird vielleicht die kleineren Kabelsendern ereilen. Nur, dass diese eben nicht auf eine andere Kernkompetenz zurückgreifen können. Niemand schaut RTL 2, Vox, Tele 5 oder Kabel 1 wegen der politischen oder sportlichen Berichterstattung, insofern sie diese Formate überhaupt je bedient haben (Ausnahmen bei der Programmgestaltung existieren sicherlich, stellen aber nicht die Regel, sondern eher Versuche dar, neue Zuschauergruppen zu erreichen). Ein Grundproblem ist in der jahrzehntelangen Praxis begründet, Formate aus dem Ausland, vor allem den USA, einzukaufen. Hier fehlen nun Jahrzehnte an Entwicklungszeit für dramaturgische Stoffe. Auf die deutsche Medienbranche generell übertragen, muss man feststellen, dass kaum ein deutsches Pendant zur James-Bond-Reihe, dem Marvel Cinematic Universe oder zu DC, „Star Wars“, „Star Trek“, „Dr. Who“, „Game of Thrones“, „Der Herr der Ringe“, „The Twilight Zone“ oder „The Walking Dead“ existiert. Eben Marken, die global funktionieren können. Diese wurden nie nennenswert entwickelt. Im Zweifelsfall konnte man eben immer auf die Lizenzierung US-amerikanischer Formate zurückgreifen, sich im Glanze Hollywoods sonnen und damit den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Lizenz einkaufen und Synchronisation drüberklatschen. Fertig ist das neue TV-Event. Diese Standard-Praxis rächt sich jetzt doppelt und dreifach und führte zu einer totalen Abhängigkeit des deutschen Entertainment-Markts von den US-Networks und -Studios. Die Free-TV-Premiere der finalen Staffel von „Game of Thrones“ (2011–2019) auf RTL 2 war nicht einmal mehr eine Erwähnung wert. Vor zwölf Jahren stellte die Premiere der ersten Episode der dritten Staffel von „Lost“ (2004–2010) auf Pro7 noch ein kleines Event dar. Es gab eben keine Alternative. In Zukunft werden die produzierenden US-Networks solche Formate wohl direkt und vielleicht exklusiv über ihre Streaming-Dienste an den deutschen Kunden weitergeben können. Einen Zwischenhändler in Form eines deutschen Kabelsenders braucht es einfach nicht mehr. Eine Zweitverwertung im Free-TV wäre nur noch als Resterampe anzusehen. Was durch ist, ist eben durch. Und was als Kernkompetenz für viele deutsche Kabelsender übrig bleibt, sind wohl Reality-Trash-Formate: „Deutschland sucht den Superstar“ (2002–), „Germany’s next Top-Model“ (2006–), „Die Wollnys“ (2011–), „Frauentausch“ (2003–), „Die Geißens“ (2011–), „Das Promi-Dinner“ (2006–), „Goodbye, Deutschland! Die Auswanderer“ (2006–), „Rach, der Restaurant-Tester“ (2005–), und so weiter…

Die großen Dienste werden ihre Inhalte wohl kaum teilen wollen. Warum sollte Disney sein Mega-Archiv noch zweit- oder drittverwerten lassen, wenn sie alte Filmklassiker von 20th Century Fox oder Kultserien von ABC auch bei sich selber als Anreiz drauf packen können, um neue Kunden zu locken? Exklusivität ist alles. Das gilt auch für alte Reportagen, Dokumentationen oder andere Formate. Es wird manchmal unterschätzt, welche Marken, Sender und Studios sich hinter den Streaming-Netzwerken verbergen. Nur hinter HBO Max stehen HBO, Warner Bros., New Line Cinema, DC Comics, CNN, TNT, TBS, truTV, Turner Classic Movies, Cartoon Network, Adult Swim, und mehr.

Disney hat bereits ihre Inhalte von anderen Diensten abgezogen und Lizenzvereinbarungen nicht verlängert oder schränkt die Verbreitung nun anscheinend massiv ein. Andere Anbieter gehen ähnlich vor. Disney oder Netflix hätten wohl nichts davon, wenn ihre Serien im deutschen Kabelnetz als Zweitverwertung laufen. Denn dies wäre ein Grund, Disney+ oder Netflix nicht zu buchen.

Viele Kabelsender werden unter Feuer stehen und von der kulturellen Bedeutung auf das Niveau eines YouTube-Kanals klein geschossen werden, weil schlichtweg die heimischen Zuschauer und die einflussreichen Formate für einen globalen Medienmarkt fehlen. Manch einer wird diese Spekulation für zu apokalyptisch halten, aber vor 15 Jahren erschien es auch noch als unvorstellbar, dass popkulturelle Institutionen wie VIVA und MTV einfach so wegfallen könnten. Aber Zeiten ändern sich. Teils drastisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass heutige 14-Jährige VIVA oder MTV nicht einmal mehr kennen, ist bereits enorm hoch.

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!