„Es geht ihm darum uns verzweifeln zu lassen. Er will, dass wir uns anders sehen. Animalisch, hässlich. Damit wir erst gar nicht auf die Idee kommen, dass Gott uns lieben könnte.“
Zur Veröffentlichung galt William Friedkins „Der Exorzist“ als absoluter Kulturschocker, der die Zuschauer entsetzte und gerade aufgrund seiner (für damalige Verhältnisse) starken Schockeffekte die Massen in die Kinos lockte. Fast vier Jahrzehnte nach dessen Veröffentlichung hat der Film nichts von seiner Wirkung verloren. Denn je älter (und durchschaubarer) die Gruseleffekte werden, desto stärker dringen die Nebenhandlungen durch…
Die Schauspielerin Chris MacNeil weiß nicht mehr weiter: seit geraumer Zeit verändert sich ihre Tochter Regan zunehmend. Immer öfter wird sie ausfallend, benutzt Schimpfwörter und rastet aus. Es ist als ob ihr Charakter sich ändern würde. Anfänglich schiebt sie es auf ihre Pubertät und denkt, es würde sich wieder legen – doch Regans Wutausbrüche werden immer stärker. Sie entscheidet Regan von einem Arzt untersuchen zu lassen, doch der kann nichts außergewöhnliches feststellen. Eines Abends, als Chris ihr Filmteam zu einem Dinner bei sich zuhause eingeladen hat, taucht plötzlich Regan auf, die eigentlich schon schlafen sollte. Sie uriniert vor den Augen aller Freunde. Chris ist entsetzt, ebenso ihre Freunde und weiß keinen Rat mehr. Sie entscheidet erneut die Ärzte aufzusuchen. Trotz intensiver, teils sehr drastischen Untersuchungen, könnnen sie nichts finden. In ihrer Verzweifelung schlägt einer der Ärzte vor, einen Exorzismus durchzuführen. Er glaube zwar nicht daran, könnte sich aber vorstellen, dass die suggestive Wirkung zu einem heilenden Ergebnis führen könnte. Chris hält dies für absurd, aber Regans Zustand verschlimmert sich dermaßen, das sie keinen anderen Ausweg kennt.
Die katholische Kirche schickt Pater Merrin und Karras. Chris steht ihnen weiterhin skeptisch gegenüber und kann selber nicht glauben, dass sie diesen Weg gewählt hat. Während Merrin sogar die Existenz von Dämonen nicht nur akzeptiert, sondern diese auch schon bekämpft hat, befindet sich Karras in einer tiefen Glaubenskrise, ausgelöst durch den Tod seiner Mutter, für deren einsames Dahinsiechen er sich alleine verantwortlich fühlt. Doch diese Krise sollte alsbald beendet sein, denn tatsächlich hat ein Dämon von der kleinen Regan Besitz ergriffen, auch wenn Karras das zuerst nicht akzeptieren will oder kann, und mit jedem weiteren Tag wird dieser stärker und Regan immer schwächer. Merrin und Karras müssen schnell und drastisch handeln, denn der Dämon würde Regans Körper niemals ohne einen Gegenpreis aufgeben. Einen sehr, sehr hohen Gegenpreis…
Pater Merrin: „Die Kraft Jesu Christi bezwingt dich! Die Kraft Jesu Christi bezwingt dich!“
Glaubt man der Werbemaschinerie von Warner Bros., so erschien mit „Der Exorzist“ 1973 der „schrecklichste Film aller Zeiten“ („The scariest film of all time.“). Glaubt man dem Einspielergebnis (inflationsbereinigt 2010: zirka 1,8 Milliarden US-Dollar), so ist es zumindest mit weitem Abstand einer der erfolgreichsten, wenn nicht sogar der erfolgreichste Horrorfilm aller Zeiten. Und glaubt man vielen Kritikern, so ist es zumindest einer der klügsten Horrorfilme aller Zeiten, der immerhin für zehn Oscars nominiert wurde, von denen er auch zwei gewinnen konnte. Egal welches Attribut man „Der Exorzist“ nun anhängen mag, er stellt ohne Zweifel einen Klassiker des modernen Horrors dar, der auch nach fast vierzig Jahren noch vollends überzeugen kann. William Peter Blatty schrieb den Original-Roman im Jahre 1971. Angeblich basierend auf einem wahren Fall von Exorzismus, der in den 1940er-Jahren in den USA für Aufsehen sorgte. Die Verfilmung seines Erfolgsromans übernahm William Friedkin, der vorab bereits dem zum Kultfilm avancierten „Brennpunkt Brooklyn“ („The French Connection“, 1971) inszenierte. Zweifelsohne setzte Friedkin bei „Der Exorzist“ für damalige Verhältnisse auf drastische Schockeffekte. Die besessene Regan speit Priestern ins Gesicht, dreht ihren eigenen Kopf um 360 Grad oder rammt sich ein Kreuz in die blutigen Geschlechtsteile, aber diese, teils sehr simpel inszenierten Einstellungen, sind nicht der wahre Grund für die immer noch anhaltende Popularität des Films (wobei dies nicht zwingend für die damalige Beliebtheit galt). Die eigentliche Handlung ist weitaus komplexer und behandelt die einfachsten, aber deswegen wohl wichtigsten Fragen des Glaubens. Im Grunde ist der eigentliche Hauptdarsteller nicht Regan oder ihre Mutter, schon gar nicht der Dämon, sondern Priester Karras, der unter einer Glaubenskrise leidet und sich für den einsamen Tod seiner Mutter verantwortlich macht. So wundert es auch nicht, dass die öffentliche Kontroverse um den Film zwar oberflächlich um die Schockeffekte, aber die eigentliche Diskussion rein inhaltlich geführt wurde. Hat der Teufel die Priester ausgetrickst? Begann Priester Karras in einem Akt der Selbstlosigkeit den Freitod? Wenn ja, hat er damit nicht seinen Platz in der Hölle eingenommen? Oder hat der Dämon ihn ermordet und ihm aus dem Fenster geschleudert? Und aus welchen Gründen? War es lediglich ein perfides Spiel um zwei gläubige Seelen zu ergattern – denn schließlich verlangte er ja selber nach Pater Merrin – oder wollte er nur Unruhe stiften, den Gottesglauben erschüttern, so wie es Pater Merrin ausdrückte? Doch wenn dies der Fall ist, dann stellt sich wiederum die Frage, ob seine Existenz nicht bereits den Beweis für die Existenz eines Gottes abliefert… Wie könnte man den Glauben an ihn dann überhaupt erschüttern? Wie immer man es sehen möchte, wie immer man auch die Frage für sich selber beantworten möchte, eines steht auf jeden Fall fest, der Film kann auch noch nach vierzig Jahren begeistern, unterhalten und eben zu Diskussionen anregen.
Pater Karras: „Wieso dieses Kind? Es ergibt keinen Sinn.“
Pater Merrin: „Es geht ihm darum uns verzweifeln zu lassen. Er will, dass wir uns anders sehen. Animalisch, hässlich. Damit wir erst gar nicht auf die Idee kommen, dass Gott uns lieben könnte.“
Dies liegt auch an der sehr ruhigen Erzählstils des Films. Bis es zum eigentlichen Exorzismus, dem Aufhänger der Geschichte, kommt, vergehen rund neunzig Minuten. Das, wofür der Film am meisten bekannt ist, findet im Grunde nur im letzten Akt statt. Die Präsenz vom vermeintlichen Hauptdarsteller Max von Sydow als Pater Merrin, beschränkt sich gar auf zwanzig Minuten. Friedkin verwebt die übernatürliche Geschichte mit mehreren persönlichen Schicksalen. Und bei keiner der Geschichten hat man das Gefühl, dass sie zu kurz geraten ist. Sei es die Glaubenskrise des Pater Karras, die Ermittlungen von Lieutenant Kinderman, der Exorzismus von Priester Merrin, die fürsorgliche Sorge der modernen und unabhängigen Mutter Chris MacNeil oder die schleichende Inbesitznahme des Dämons von Regan. All diese Plots bauen aufeinander auf, greifen ineinander über und besitzen ihre eigenen (sehr diskussionswürdigen) Schwerpunkte. Und dies ist im Grunde das, was den Film auszeichnet. Der Exorzismus oder die Besessenheit Regans der Anstoß, an der die Charaktere dazu zwingt alles in Frage zu stellen. Jeder wird auf seine Art und Weise herausgefordert und getestet. Als Pater Karras die besessene Regan mit Leitungswasser bespritzt und ihr vorgaukelt, dass es sich dabei um Weihwasser handeln würde, spielt der Dämon dieses Spiel mit, um für Verwirrung zu sorgen. Karras hingegen ist sich sicher, dass Regan nicht besessen, sondern psychisch gestört ist, da sie eben auf das Leitungswasser dämonisch reagierte. Ihre Mutter hingegen ist sich sicher, dass es nicht mehr Regan, sondern der Dämon ist. Eine Mutter könne dies spüren, eine Mutter weiß das. So handelt Friedkin auf sehr kluge Weise mehrere Aspekte der Handlung ab. Auf der einen Seite steht der tief in seinem Glauben erschütterte Pater Karras, der die Besessenheit als Werkzeug des Teufels nicht wahrhaben kann und will, und auf der anderen Seite steht die aufgeschlossene, erfolgreiche und selbstständige Mutter, die im Zeitalter eines aufgeklärten und progressiven Feminismus zu alten Glaubensansichten zurückkehrt – oder zu dessen Rückkehr regelrecht gezwungen wird. Sie ist die einzige Person, die weiß, das dieses Wesen nicht Regan sein kann. Und damit akzeptiert sie – vielleicht unwissentlich – sogar den Teufelsglaube. Und somit auch den Gottesglaube. Friedkin konfrontiert die Charaktere erst subtil, dann sehr drastisch mit anderen Lebenswelten, aber auch Lebenswirklichkeiten und stellt diese auf die Probe. So ist es natürlich kein Zufall, dass der verarmte Gläubige der reichen und berühmten Ungläubigen zur Hilfe kommen muss. Dazwischen steht, oft kaum beachtet, Lieutenant Kinderman. Der Charakter, der den Zuschauer am ehesten repräsentiert. Er stellt im Grunde selber einen Zuschauer dar, der am Ende den langen Treppengang hinunterschaut und voller Skepsis nach Antworten sucht.
Pater Karras: „Ich sagte Regan, dies sei Weihwasser. Und als ich sie damit besprengt habe, wurde sie gewalttätig. Es ist Leitungswasser.“
Chris MacNeil: „Wo ist der Unterschied?“
Pater Karras: „Leitungswasser ist nicht geweiht. Regans Reaktion ist also kein Beweis von Besessenheit.“
Diese teils sehr komplexen Handlungen werden wie erwähnt von Friedkin sehr routiniert, ruhig, aber auch pointiert inszeniert, wobei man allerdings anmerken muss, das der ein oder andere Szenenübergang teils recht ruppig gestaltet ist. Interessant ist hierbei seine Musikauswahl. Im gesamten Film ist nur an einer Stelle Musik eingesetzt wurden, die man auch wirklich als Filmmusik, somit als filmisches Stilmittel, identifizieren kann. Erst ab Minute 15 erklingt einmal im Film das mittlerweile legendäre Musikstück „Tubular Bells“ von Mike Oldfield. Interessanterweise dann, als alle wichtigen Charaktere eingeführt wurden und bevor die ersten verhaltenen Anzeichen des Grauens sich breit machen. Eine solch fast schon passioniert ruhige Inszenierung, die sich wirklich Zeit damit lässt, ihre Charaktere einzuführen und ihre Geschichte aufzubauen, findet man heutzutage in diesem Genre leider nur noch sehr selten. Ein weiterer Grund den Film als erzählerisches Meisterstück des Horrors hervorzuheben.
Fatality:
„Der Exorzist“ kann auch nach vierzig Jahren noch immer begeistern, auch wenn der Zahn der Zeit an dem Etikett „schrecklichster Film aller Zeiten“ etwas genagt hat. Aber dies sollte recht irrelevant sein, da er seine wirkliche Stärke nicht aus den datierten Schockeffekten zieht, sondern aus den weitaus komplexeren Nebenhandlungen, die heute mehr denn je von Bedeutung sind.
‐ Markus Haage
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