Überall herrscht Panik. DSGVO kommt! Ich nehme dies mal als Anlass für einen kleinen (mahnenden) Rückblick.
Auf dem letzten Weekend of Hell in April traf ich einen Leser der ersten Stunde, der mindestens seit den frühen 2000er-Jahren dabei ist. Also schon zu TrashZombies.de-Zeiten als wir (ich und zwei Mitstreiter) noch infantile Filmkritiken zu Trashfilmen, die wir uns einmal die Woche aus der örtlichen Videothek ausliehen (seit Juni 2005 geschlossen), verfassten. Ich war überrascht und auch etwas geschmeichelt. Sein Lieblings-Review war zum Trashheuler „Miami Golem“, eines der allerersten zehn Reviews von 1999. Auf dem Bild seht ihr einen Ausschnitt der Website (Stand: 2008). Jeder Film wurde mit Daten und relevanten Links versehen. Das war eine Heidenarbeit mit der ich viele Jahre (glücklich) verbrachte. Ich habe es irgendwie immer etwas bereut, dass TrashZombies.de offline ging, auch wenn ich über die konsequente Weiterentwicklung zu VideoRaiders.net und jetzt das Zombie-Magazin eigentlich sehr glücklich bin. Wir haben halt sehr früh und jung begonnen (wobei die beiden Mitstreiter der ersten Stunden auch schon seit 2008 nicht mehr dabei sind), nämlich als wir noch zur Schule gingen, und uns nie einen Kopf über eine professionelle Weiterführung gemacht. Es gab keinen Plan. Es war ein Spaß, ein Zeitvertreib. Solche Projekte wären unter Anderem Dank der heutigen DSGVO-Regeln kaum noch umsetzbar (auch wenn ich diese vom Prinzip her natürlich für richtig halte). Datenschutz ist wichtig, keine Frage. Ich kritisiere das nicht, muss aber eben auch anerkennen, dass DSGVO natürlich nur ein Anfang und kein Ende ist, und die direkten (aber wohl unabsichtlichen) Konsequenzen fatal sind.
In den letzten Jahren hat man viele tolle Nischen-Projekte im Filmbereich kommen und gehen sehen. Die Webmaster wurden erwachsen, die persönliche Verantwortung wächst mit dem Alter immens. Viele geben ihre Projekte auf, obwohl sie es nicht einmal müssten. Die Projekte könnten online bleiben. DSGVO ändert dies, weil man diese Projekte jetzt rückwirkend auf Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte (!!!), konform machen muss. Das stellt einen so großen Zeitaufwand dar, dass viele einfach drauf verzichten, weil sie wissen, dass sie es nun als erwachsene Menschen (mit Familien- und Berufsleben) zeitlich einfach nicht mehr schaffen. Das ist verständlich. Absichtlich überzogen: Soll das Kind hungern, weil Papa Trashfilm-Reviews online stellen muss? Ich hatte auch mal mit den Gedanken gespielt, die alte TrashZombies-Seite mit allen Reviews online zu stellen. Als Gimmick innerhalb der neuen Seite (so wie man „Maniac Mansion“ innerhalb von „Day of the Tentacle“ spielen konnte). Dies ist nun definitiv ausgeschlossen.
Die Gründer von Schnittberichte.com sind schon lange weg. Das legendäre Chud.com ist de facto tot. Und ist es tatsächlich schon zehn Jahre her, als Senseofview.de seine Pforten schloss ..? Echt jetzt? Selbst BadMovies.org hat seit fünf Jahren kein Review mehr gepostet. Wobei dies hier nichts mit DSGVO zu tun hatte. Aber dennoch: Niemand, der heute online irgendetwas publiziert, besitzt noch irgendeine Art von Welpenschutz. Das Netz ist durch-professionalisiert. DSGVO ist nur eines von vielen Symptomen. Und dies fordert natürlich Opfer. Nicht bei den großen Medienprofis, die sich eine ordentliche Rechts- und IT-Abteilung leisten können, sondern bei denjenigen, die das Netz geformt haben.
Zahlreiche tolle, kleine Projekte wären heutzutage nicht mehr umsetzbar, weil die Verpflichtungen nur bei der Aufsetzung eines WordPress-Blogs (ohne Inhalte) dermaßen enorm sind, dass gerade Amateure oder Hobby-Autoren diesen kaum gerecht werden können. Nicht nur rechtlich, sondern auch technisch. Dank Smartphones und Tablets sehen alle Webseiten gleich aus, da sie auf zig Endgeräten einheitlich funktionieren müssen. Ein wildes Design, wie es etwa VideoRaiders.net hatte, würde niemand mehr machen. Die, die es noch haben, sind die Minderheit.
DSGVO ist so weitreichend, dass es selbst die simple Einbindung von YouTube-Videos, eines Facebook-Like-Buttons, eines Instagram-Fotostreams oder die Verwendung von Google Fonts betreffen könnte (da auch hier Daten übermittelt werden). Heißt: Selbst wenn man seine Website offline nimmt, um diese zu überarbeiten, und nur einen Platzhalter hinsetzt, könnte dies bereits gegen DSGVO verstoßen, da schon beim Aufrufen der Platzhalter-Homepage Daten übermittelt werden. Webmaster, die beispielsweise Google Analytics nutzen, müssten anscheinend mit dem Google-Konzern nun direkt eine Art Vertrag abschließen und für den User eine Opt-Out-Option anbieten, nur um dieses simple Webmaster-Tool verwenden zu können. Dies stellt keine Rechtsauskunft dar. Denn auch ich bin von den neuen Vorgaben irritiert. Es wird wohl so sein, dass diese erst von zig Gerichten genau definiert werden müssen. Heißt: Die Abmahnungen und Prozesse sind vorprogrammiert, vielleicht sogar einkalkuliert.
Noch einmal: Datenschutz ist richtig und wichtig. Mir geht es weniger um DSGVO, sondern um die simple Tatsache, dass das Netz, so wie es gerade sehr viele Filmfans des Phantastischen Kinos kennen, endgültig stirbt. Und gerade für diese Fans stellte das Internet Ende der 90er-Jahre und Anfang der 2000er-Jahre eine unbekannte Freiheit dar, da man Themen fokussieren und über sie diskutieren konnte, über die die vermeintlichen Profis nie berichten wollten. Der (rechtliche und technische) Aufwand ein Web-Projekt selbst für die Nische zu betreiben, ist mittlerweile dermaßen groß, dass immer mehr kleine Projekte kapitulieren müssen. Und dies weiß ich von einem guten Mitstreiter persönlich, dessen Film-Website noch im schönsten HTML ist und der diese zum Selbstschutz erst einmal komplett offline nehmen muss. Inklusive zigtausender sehr unterhaltsamer B-Film-Reviews. Um diese fortzuführen, müsste er technisch komplett umrüsten und zusätzlich mehr als zehn Jahre Arbeit transferieren. Jedes einzelne Review mit Daten und Bildern. Da fallen pro Review gerne mal 30-40 Datensätze an, die alle einzeln neu eingetragen werden müssen (Produktionsland, Schauspieler, Cover, FSK-Freigabe, etc.). Das dauert im normalen Lebensalltag ein paar Jahre, selbst wenn man zwei bis drei Reviews pro Tag (auch am eigenen Geburtstag und im Urlaub) schafft.
Auch ich werde mich von einigen Webprojekten trennen müssen (die meisten davon haben mit dem Thema Film nichts zu tun). Einfach weil der zeitliche Aufwand diese konform zu machen, dermaßen groß ist, dass es sich schlichtweg nicht rentiert. Bei einigen dieser Projekte blutet mir das Herz. Es war im Grunde eine Art von ehrenamtlicher Arbeit. Aber die Angst, abgemahnt zu werden, weil man keinen Cookie-Hinweis eingebunden oder Trailer von YouTube gepostet hat, ist dermaßen groß (und in Deutschland absolut berechtigt), dass es mich davon gar nicht mehr stressen lassen möchte. Eines dieser Projekte kam sogar in die engere Auswahl für den Grimme-Online-Award 2013. Das schreibe ich absichtlich, nur um zu verdeutlichen, dass es sich hierbei eben nicht um Trash oder Nonsense handelt (weil an dieser Stelle dann gerne lächelnd abgewertet wird).
Das Zombie-Magazin bleibt aber weitestgehend unberührt, da ich hier frühzeitig vorgearbeitet habe und mit der neuen Website (noch nicht angekündigt) auch viele alte Inhalte der letzten 19 Jahre übernehmen werde (auch Inhalte der durch DSGVO aufgegebenen Projekte). Aber dazu in den kommenden Wochen mehr… Denn es ist wirklich bereits jetzt eine Heidenarbeit über Monate.
‐ Markus Haage