Es kracht, es zischt, zu sehen ist nüschds! Ein Scharfschütze versteckt sich im Geäst und schießt alles nieder, was vor seine Flinte kommt. Wem dies als Handlungsbogen schon reicht, ist bei „Downrange“ an der richtigen Stelle. Die Kritik enthält Spoiler.
Sechs Freunde begeben sich auf einen Road Trip. Ein platter Reifen macht ihre Pläne zumindest kurzfristig zunichte. Einer von ihnen, namentlich Jeff, erklärt sich dazu bereit, den Reifen zu wechseln, während sich seine Freunde im Schatten ihres SUVs ausruhen. Nachdem sie von Jeff längere Zeit nichts mehr hören, schaut die junge Sarah nach ihm und muss feststellen, dass er erschossen wurde. Sie weiß nicht, woher der Schuss kam, nur dass es nicht der letzte gewesen sein wird. Auf der einsamen Straßen und unter brütender Hitze sind sie hinter ihrem Auto gefangen. Einer nach dem anderen gerät ins Visier eines wahnsinnigen Scharfschützen …
„Downrange – Die Zielscheibe bist du!“ (2017) hält sich nicht lange mit Details auf. Bereits nach wenigen Minuten wird der erste Kopfschuss verteilt, das grausame Spiel beginnt. Hierbei konzentriert sich Regisseur Ryūhei Kitamura vollends auf einen überschaubaren Handlungsort. Die Protagonisten sind dem Antagonisten mehr als neunzig Minuten hinter ihrem Auto ausharrend ausgeliefert. Jeder Versuch sich auch nur einen Meter zu bewegen, kann tödlich enden. Der Scharfschütze, dessen Identität nie preisgegeben wird, verfügt wohl nicht nur über militärische Erfahrung und Präzision, sondern auch militärisches Equipment. Ein Katz-und-Maus-Spiel entwickelt sich. Damit die Mäuse aber nicht aus ihrer Falle entfliehen können, muss selbstredend von außen eingewirkt werden. Ein Smartphone-Empfang ist nicht möglich, das berühmte filmische Funkloch muss auch hier eingeführt werden. Allerdings wird dieses zumindest für ein, zwei handlungsmotivierende Momente genutzt. Das Auto muss nur wenige Meter verrückt werden, damit man dem Funkloch entfliehen kann. Eine Zentimeter-Arbeit, die sich letztlich nicht auszahlen wird. Dies kann ruhig vorab verraten werden, da dieser Handlungsteil recht früh in der Geschichte eine Rolle spielt und der Zuschauer instinktiv weiß, das mit dem Smartphone-Empfang die Story ihr Ende gefunden hätte. Und dies stellt bereits die erste Krux des Films dar. Es existiert eine Handlung, aber keine Geschichte.
Die Charaktere bleiben vollends blass, ihre Situation und damit die Grundidee für den Film, stellt zwar eine ungewöhnliche Ausgangslage dar, muss aber die gesamte Spielzeit über bedient werden. Da die handelnden Figuren für den Zuschauer uninteressant sind, da vorab kaum nennenswerte Konflikte entstehen oder ihre Persönlichkeiten ausgearbeitet werden, er mit diesen somit nicht mitfühlen kann, müssen zwanghaft Situationen entstehen, die stark gewollt oder aufgezwungen wirken. Wenn einer der Hauptdarsteller um seine tote Freundin trauert, deren Gehirn nun als Asphaltschicht dient, und zudem noch enthüllt, dass sie nicht nur schwanger war, sondern er bereits einen Kindersitz für sein Auto gekauft hat, so lässt dies den Zuschauer vollends kalt. Man kann selbst in solch hoch dramatischen Momenten kaum mitfühlen, da vorab kein Bezug zu diesen Figuren aufgebaut wurde. Die Charaktere dürfen zudem bestimmte Chancen nicht nutzen, um aus ihrer Falle zu entfliehen, oder müssen sich teils zu ängstlich oder gar dumm verhalten, damit die Geschichte in der Ausgangssituation weitererzählt werden kann. Dies wirkt bereits nach vierzig Minuten unglaublich starr. Damit etwas Abwechselung ins Spiel kommt, werden Charaktere von Außen eingeführt, die die Monotonie der Grundidee (verstärkt durch das Fehlen einer Charakterzeichnung) durchbrechen sollen. Zur Irritation des Zuschauers hätte es diese aber gar nicht gebraucht, weil auch sie die eigentliche Ausgangssituation nicht nennenswert verändern oder voranbringen, sondern nur dazu dienen neue Schauwerte zu bieten. Immerhin wird ihr Ableben genre-gerecht auf drastische Art und Weise zelebriert.
Ryūhei Kitamura hält sich bei der Inszenierung der Gewaltszenen nicht zurück. Köpfe platzen, Blut spritzt, Menschen brennen und werden überfahren. Ein solcher Film hätte noch in den frühen 1990er-Jahre große Probleme bekommen und wäre wohl nicht ungeschnitten oder nur mit Auflagen (Indizierung) erschienen. Die Zeiten haben sich geändert. Demnach dürften vor allem Gorehounds ihre Freude an dem Werk haben. Dies ist auch legitim, denn die Gewaltdarstellungen sind dermaßen drastisch überzogen, dass sie jegliche Ernsthaftigkeit verloren haben, aber es ist dennoch sehr bezeichnend, dass sie keinerlei Zweck erfüllen und wohl nur die recht simple Ausgangssituation auflockern sollen. Wie eingangs erwähnt, die Protagonisten sind schlichtweg nicht in der Lage den Film zu tragen. Die Charaktere, die von außen in die Handlung eingreifen sind wiederum nur Staffage für Action- und Gore-Szenen. In Anbetracht von Regisseur Kitamuras doch recht bunter Filmografie überrascht dies doch. „Downrange“ kommt inszenatorisch wie eine Art Visitenkarte eines Independentfilmers daher, der erstmalig über ein gehobenes Budget verfügt und nun eine seiner Kurzfilmideen verarbeiten kann, um auf sich aufmerksam zu machen. Dies ist keineswegs despektierlich gemeint. Gerade der Genrebereich erlaubt es jungen Nachwuchsfilmemachern sich auszuprobieren und auszutoben, aber bei Kitamura, der bereits Romanverfilmungen wie „The Midnight Meat Train“ (2008) oder Spektakel wie „Godzilla: Final Wars“ („Gojira: Fainaru uōzu“, 2004) inszeniert hat, entzieht es sich vollkommen, welches Potenzial er in dieser Geschichte sah. Vielleicht möchte er auch in die Fußstapfen des legendären Vielfilmers Takashi Miike treten, dessen Filmografie nicht minder abwechslungsreich ist.
„Downrange – Die Zielscheibe bist du!“ bietet bis auf die interessante Prämisse inhaltlich nicht viel, um über neunzig Minuten vollends überzeugen zu können. Die Charaktere bleiben leider zu blass, ihre ausweglose Situation erweist sich als zu starr, als dass sie genug eigene Impulse für die Geschichte setzen könnten. Aufgelockert wird dies dann zwar durch überzogene Action- und Gewalt-Momente, die aber für sich stehend nicht zwingend nötig gewesen wären. Es bleibt dennoch ein kleiner Mitternachtsfilm über, der zwar nicht überrascht, aber über weite Strecken einen gewissen Unterhaltungswert bietet.
‐ Markus Haage
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