Heute Nacht um drei Uhr MEZ wird mit der (voraussichtlichen) Schlacht um Winterfell das große Finale der Serie „Game of Thrones“ eingeläutet werden. Dann wird Sky Atlantic die dritte Episode der finalen achten Staffel für deutsche Zuschauerinnen und Zuschauer live streamen. Eine Stunde später, um vier Uhr morgens, wird diese als Stream abrufbar sein. Die Episode, deren Titel (immer noch) geheim ist, umfasst ganze 82 Minuten. Im Vorfeld wurde sie (oder die vermutlich folgenden Ereignisse) mit dem Finale von „Der Herr der Ringe: Die zwei Türme“ („Lord of the Rings: The Two Towers“, 2002), der Schlacht von Helms Klamm, angeteast. Wer die Serie die letzten Jahre live verfolgt hat, weiß, dass dies nicht einmal zu hoch gegriffen wäre. Über Jahre konnte „Game of Thrones“ mit grandiosen Action-Set-Pieces beeindrucken und diesbezüglich neue Standards setzen. Die Inszenierung der Schlachten stellte gar aktuelle Kinoproduktionen in den Schatten. Man denke nur an die Schlacht um Blackwater (Staffel 2, Episode 9, „Schwarzwasser“), der Kampf um Castle Black (Staffel 4, Episode 9, „Die Wächter auf der Mauer“), die Schlacht der Bastarde (Staffel 6, Episode 9, „Die Schlacht der Bastarde“) oder natürlich das Massaker von Hartheim (Staffel 5, Episode 8, „Hartheim“), welches vollkommen überraschend auf den Zuschauer hereinbrach. Die Macher werden inszenatorisch alles auffahren, was ihnen zur Verfügung steht. Und dies sind mehr als 100 Millionen US-Dollar-Budget pro Staffel. Auch inhaltlich kann es gar keine Enttäuschungen geben. Alle Figuren haben das Schachfeld, oder eher Schlachtfeld, betreten. Drachen, Zombies, Ritter, Krieger, Hexen, Magier … Die Tatsache, dass das Marketing sich stark zurückhält und so gut wie gar keine Kampfszenen enthält, darf viele Überraschungen, auch tragischer Natur, versprechen.
Es sei natürlich angemerkt, dass die heutige Episode letztlich „nur“ die Einleitung für das noch größere Finale darstellen wird. Drei Episoden von rund je 80 Minuten Länge folgen noch, aber das Ende ist nun unausweichlich. Nach acht Jahren ist der Winter gekommen.
Die Serie basiert auf George R.R. Martins Buchreihe „Das Lied von Eis und Feuer“, dessen erster Roman im Original den Titel „Game of Thrones“ trägt und 1996 erschien. Es folgten über die Jahre weitere Romane. Die finalen zwei Bücher entstehen derzeit. Martin räumte zwischenzeitlich selber ein, dass er es bedauert, dass die Serie ihn eingeholt hätte und somit vor allem bei den Hauptcharakteren und dem groben Ende vieles vorwegnehmen wird. Dennoch sei angemerkt, dass sich Romanvorlage und Serienadaption teils stark unterscheiden. Zahlreiche Nebencharaktere, die eine immens bedeutende Rolle einnehmen, tauchen in der Serie gar nicht auf oder deren Handlungsstränge wurde auf andere Charaktere übertragen, ohne aber auch nur ansatzweise die gleiche Tiefe zu erhalten.
Folgende Ereignisse und Figuren sollen dies nur einmal exemplarisch aufzeigen. So „überlebt“ Catlyn Stark in den Romanen die Rote Hochzeit, indem sie durch den dunklen Zauber von Beric Dondarrion wiederbelebt wird und sich als gnadenlose und „untote“ Assassine unter dem Namen Lady Stoneheart in die Wälder des Nordens zurückzieht, um Rache an dem Verrat an ihrer Familie zu nehmen. In der Serie kehrt Catlyn Stark nicht von den Toten zurück und Beric Dondarrion opfert sein Leben ebenfalls nicht für sie, sondern bleibt dem Zuschauer noch sehr lange erhalten. In den Romanen heiratet Sansa Stark den Sadisten Ramsey Bolton wiederum nie. Dieses Schicksal ereilt einer anderen Figur, die für Aria Stark gehalten wird, damit die Boltons das Anrecht auf Winterfell erhalten, obwohl sie wissen, dass es nicht Aria ist. Das Schicksal von Theon Greyjoy ist in der Romanvorlage weitaus drastischer. Es darf angezweifelt werden, dass er zukünftig dieselbe Rolle erhalten wird wie in der Serie. Mit Aegon Targaryen wird des Weiteren eine weitere Figur spät in die Handlung des Romans eingeführt, die zusammen mit der Goldenen Kompanie Anspruch auf den Thron erhebt. In der Serie heuert Cersei die Söldnerarmee aus Essos lediglich an. Somit gibt es zahlreiche Handlungen, die teils drastisch anders verlaufen, oder Charaktere, die in der Serie gar nicht auftauchen. Romanfans dürfen sich demnach entspannt zurücklehnen und das Serienfinale trotzdem genießen, auch wenn es sicherlich ein bittersüßer Moment sein wird, dem Ende der groben Handlung vor dem TV-Bildschirm beiwohnen zu müssen, wenn man die Romane seit 1996 verfolgt hat.
Persönlich kam mir die Serie erstmalig 2005 oder 2006 zu Ohren. Ein Freund, der Webmaster der B-Movie-Site Filmflausen.de, schrieb mir davon per ICQ Messenger und meinte nebenbei salopp, dass dieser amerikanische TV-Sender HBO die Rechte zur Verfilmung erworben hätte. Mir sagte dies nichts, deswegen ging ich nicht weiter darauf ein. Warum ich mich an diesen Moment überhaupt noch erinnere, bleibt mir sogar ein Rätsel. Erst Jahre später hörte ich wieder von der ominösen Serie „Game of Thrones“. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass man für den Cast sogar Sean Bean gewinnen konnte. Ein Filmschauspieler von internationalem Rang in einer Serie! Was damals noch eine Besonderheit darstellte, ist heute die Norm. Ich kaufte mir die erste Staffel auf DVD, ließ sie dann aber für Wochen, oder eher Monate, herumliegen. Mehrmals versuchte ich sie zu beginnen, aber aus einem mir heute nicht nachvollziehbaren Grund funktionierte sie für mich schlichtweg nicht. Die erste Episode brach ich mehrmals nach rund dreißig Minuten ab. Erst als ich sie aus Langeweile und als eher akustische Untermalung „nebenbei“ laufen ließ und mich zufällig auf das Ende der ersten Episode konzentrierte, zog sie mich in ihren Bann. Fans wissen, was am Ende passiert. So etwas hatte man vorab noch nicht gesehen oder zumindest nicht damit gerechnet. Inzest und versuchter Kindesmord! OJEMINE! Dieser überraschende Schockmoment war es, der mich die Episode noch einmal von Anfang an schauen ließ. Diesmal mit voller Aufmerksamkeit. Was dann folgte, nennt man heutzutage Binge-Watching (existierte der Begriff 2012 schon ..?). Innerhalb von zwei Tagen schaute ich mir nicht nur die gesamte erste Staffel an, die zweite Season lief parallel bereits im Fernsehen.
Es waren nicht nur die Schockmomente, die begeisterten, sondern auch viel mehr die Inszenierung und das gesamte Setting. Ich konnte damals kaum glauben, dass es sich hierbei um eine Serienproduktion handeln würde. Die erzählerische und inszenatorische Qualität eines Kinofilms wurde auf den TV-Schirm übertragen. Allerdings mit dem Vorteil, dass die längere Lauflänge (hier: zehn Episoden pro Staffel) es erlaubte, die Welt und ihre Charaktere zu vertiefen, ohne sich aber sinnloser Füller-Episoden hingeben zu müssen (Stringenz war die größte Stärke der Serie). Ein immenser Vorteil im Falle von „Game of Thrones“. Denn die Welt von Westeros und Essos, den beiden Kontinenten, auf denen die Haupthandlung spielt, ist so detailliert und facettenreich dargestellt, dass aus Fantasy eben Realität wurde. So real, dass ich am Anfang der zweiten Staffel (wohlgemerkt noch ohne Kenntnis der Romanvorlage) etwas enttäuscht gewesen bin, dass doch Magie, Drachen und Untote, eben klassische Phantastik, ein fester Bestandteil dieser Welt ist. So überzeugend war es inszeniert. Nachdem ich allerdings die Bücher gelesen hatte, konnte ich mich beruhigen. Was an Fantasy auf den Zuschauer zu kam, unterwarf sich nicht dem kindlichen Kitsch so vieler phantastischer Standardwerke, sondern einem gewissen harten Realismus. Die Götter sind nicht nur gut und böse, sondern weitaus vielschichtiger. Ihre Anhänger, die zumindest glauben, in ihrem Namen zu sprechen, müssen sich eingestehen, dass sie letztlich auch nur interpretieren. Drachen sind eben auch nur Tiere und lassen sich nicht kommandieren. Sie greifen bei der Suche nach Futter nicht nur Schafherden, sondern auch Kinder an. Zauberer besitzen ein Interesse an politischen Einfluss, Fabeln und Legende werden erfunden oder umgeschrieben, um Macht auszuüben. Es gibt kein Gut gegen Böse, kein Schwarz gegen Weiß. Die Welt von „Game of Thrones“ ist grau. Eben wie die Realität.
Die Jahre vergingen. Zwischenzeitlich las ich die Bücher und freute mich vorab auf Ereignisse, die ich schon kannte (und natürlich auf die Reaktionen der Zuschauerschaft darauf). Ein jährlicher „Game of Thrones“-Marathon gehörte fast schon zu einem jährlichen Ritual. Ich kann rückblickend nicht sagen, wie oft ich die Serie mittlerweile sah. „Game of Thrones“ wurde populärer und traute sich auch mehr. Der Standard stieg und das, was sie anfangs ausmachte, stellt mittlerweile die Norm dar. Nun, ja, fast. Viele Serien versuchten zumindest an den Erfolg anzuknüpfen. Ob es ihnen gelang oder nicht, sei einmal dahingestellt. Denn selbst in den ruhigen Momenten schafft es die Serie zu fesseln. Die Charaktere sind uns über die Jahre nicht nur genauso wichtig geworden, sondern können auch in den ruhigsten Momenten wie die großen Ereignisse, denen sie ausgesetzt sind, begeistern. Man denke nur an die Eröffnung der finalen Episode der sechsten Staffel, die inszenatorisch als „Cerseis Rache“ in die Annalen einging.
„Game of Thrones“ stellt rückblickend eine der bedeutendsten Serien der Fernsehgeschichte dar, da sie wie kaum eine andere Produktion zuvor das Serienformat dermaßen drastisch transformierte und zu ungeahnten inszenatorischen und erzählerischen Höhen geleitete. Als Fan dabei sein und diesen Umschwung miterleben zu dürfen, stellte bereits ein einmaliges Erlebnis dar (in Deutschland war die Popularität so hoch, dass Sky Atlantic sich dazu „gezwungen“ gesehen haben soll, die Serie bei US-Veröffentlichung zeitgleich zu streamen – „damals“ ein Novum!). Auch, weil im multimedialen Zeitalter der Sozialen Netzwerke das Erlebnis mit Fans aus der ganzen Welt geteilt werden konnte. Eine Bar in Kanada machte es sich anfangs aus Spaß zur Aufgabe die Episoden von „Game of Thrones“ vor befreundeten Publikum zu präsentieren und deren Reaktionen zu filmen. Daraus entstand ein ganz eigenes Reaction-Video-Event. Nach (fast) jeder Episode gehört es nun für Fans der Serie zum guten Ton, die besten Momente einer Episode mit den Zuschauern der Burlington Bar noch einmal mitzuerleben.
Nun naht das endgültige Ende. Auch wenn HBO bereits an einer Prequel-Serie arbeitet, dessen Dreharbeiten bald beginnen werden, wird keine weitere Adaption die Jahre des Erlebten in irgendeiner Art und Weise nahe kommen können. Egal wie gut sie auch objektiv sein mag. „Game of Thrones“ entwickelte sich zu einem Phänomen, welches man nicht planen konnte und auch zukünftig nicht nachahmen könnte. Nach der finalen Episode wird der Winter auch für die Fans gekommen sein.
‐ Markus Haage
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