Der kanadische Regisseur Ivan Reitman ist verstorben.
Ivan Reitman kam 1946 als Sohn von jüdischen Holocaust-Überlebenden im slowakischen Städtchen Komárno zur Welt. Seine Eltern siedelten Ende der 1940er-Jahre nach Kanada über, wo er aufwuchs und seine Karriere als Filmemacher begründete. Sein Schaffen umfasst mehr als fünfzig Jahre Filmgeschichte. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die Sommercamp-Komödie „Babyspeck und Fleischklößchen“ („Meatballs“, 1979), die Army-Klamotte „Ich glaub’ mich knutscht ein Elch!“ („Stripes“, 1982) als natürlich auch die Fantasy-Komödie „Ghostbusters – Die Geisterjäger“ („Ghostbusters“, 1984) oder das Sci-Fi-Abenteuer „Evolution“ (2000).
Mit „Ghostbusters – Die Geisterjäger“ erschuf Reitman ein einmaliges Werk, welches auch noch fast vierzig Jahre später von popkultureller Relevanz ist. Erst letztes Jahr produzierte er mit seinem Sohn Jason auf dem Regiestuhl den dritten Teil der Reihe unter dem Titel „Ghostbusters: Legacy“ („Ghostbusters: Afterlife“, 2021). Ein Film, der der weltweiten Fan-Community unheimlich viel bedeutete, weil er auch das Werk von Harold Ramis, Darsteller des Egon Spengler und Autor der Ghostbusters-Filme, honorierte. Nun werden Ivan und Harold gemeinsam auf uns herunterblicken können.
Nach dem wahnsinnigen Erfolg von „Ghostbusters – Die Geisterjäger“ inszenierte Reitman weitere Kultklassiker des US-amerikanischen Comedyfilms der 1980er-Jahre. So entstanden unter seiner Regie unter anderem die Werke „Staatsanwälte küßt man nicht“ („Legal Eagles“, 1986) als auch „Twins – Zwillinge“ („Twins“, 1988) mit Arnold Schwarzenegger und Danny DeVito in den Hauptrollen. In den 1990er-Jahren wurde es etwas „ruhiger“ um Reitman. Nachdem „Ghostbusters II“ (1989) nicht den erwünschten Erfolg brachte, auch wenn das Sequel kommerziell einen großen Hit darstellte, konzentrierte er sich mit Werken wie „Der Kindergarten Cop“ („Kindergarten Cop“, 1990), „Dave“ (1993), „Junior“ (1994) oder auch „Sechs Tage, sieben Nächte“ („Six Days Seven Nights“, 1998) auf ein größeres Publikum. Keine Nischen-Komödien mehr, sondern familientaugliches Entertainment. „Evolution“ (2000) stellte in gewisser Hinsicht wieder den Versuch dar, zu den Ursprüngen zurückzukehren: Screwball-Comedies kombiniert mit teils übernatürlichen Elementen. Eben ein wilder Genre-Mix. Den Fans gefiel es, dem Massenpublikum leider nicht so sehr. Heute stellt das Werk vielleicht einen kleinen Kultklassiker der Jahrtausendwende dar.
In den 2010er-Jahren versuchte Reitman als Regisseur und Produzent einen dritten Teil der Ghostbusters-Reihe zu produzieren. Leider gelang ihm dies nicht. Der Versuch eines Remakes im Jahre 2016 scheiterte allerdings kläglich, sodass eine Rückkehr zur alten Filmreihe erneut besprochen wurde. Diesmal natürlich unter der Führung von Reitman. Allerdings nicht von Ivan, sondern seinem Sohn Jason.
„Ghostbusters: Legacy“ bedeutete vor allem für Ivans Sohn Jason unheimlich viel. Der Film basierte auf dem übergroßen Werk seines Vaters, in dessen Schatten er immer stand. Er bezeichnete den Film als „den Drachen, den es niederzuringen galt“. Bereits als Kind war er am Set des Originalfilms zugegen, im zweiten Teil durfte er sogar eine kleine Nebenrolle übernehmen. Dennoch empfand er das Werk eher als Fluch und nicht als Segen. Denn der Erfolg des Films bedeutete für ihn auch stets, dass er auf seinen eigenen Vater als Kind verzichten musste. Die Arbeit am dritten Teil sah er damit nach eigener Aussage auch als eine Art Aufarbeitung seiner eigenen Kindheit und Beziehung zu seinem Vater Ivan an.
„I always felt this was the dragon that was waiting for me, and that the longer I didn’t make it, the more I was simply ignoring what was at the gate. I always felt the proton pack would be too heavy, but it turns out once you put it on it feels kind of light.“
– Jason Reitman im Interview mit Insider.com, Oktober 2021
Dies schaffte er mit Bravour, obwohl er das niemals hätte tun müssen. Jason Reitman wurde für seine zahlreichen Werke mehrmals für den Oscar© nominiert. Der Abschluss der Ghostbusters-Saga, wenn man dies so bezeichnen möchte, blieb somit innerhalb der Familie. Als Jason den Film auf der New York Comic Con zur Überraschung des Publikums im Juli 2021 präsentiert und dazu in Anwesenheit seines Vaters die Bühne betreten wollte, hielt dieser ihn einen Moment zurück und sagte zu ihm, dass er unheimlich stolz auf ihn sei. Ivan Reitman war stets ein viel beschäftigter Filmemacher, der seiner Familie und insbesondere seinem Sohn nie die Aufmerksamkeit geben konnte, die sie verdient hätte. Ein Preis, den leider viele erfolgreiche Künstler zahlen müssen. Gerade deswegen war es für Jason so unglaublich wichtig, den dritten Teil der Ghostbusters-Reihe zu drehen. Nicht nur das Franchise einer neuen Generation zu übergeben, sondern auch selber mit der Vergangenheit abzuschließen. Dazu honorierte er auch das Schaffen seines Vaters. In einem Kino innerhalb des Films wird der Streifen „Cannibal Girls“ (1973) präsentiert. Ein herrlich schräges B-Movie für die bereits untergegangenen Drive-In-Kinos.
Reitmans Schaffen kann nicht hoch genug eingeordnet werden. Er erschuf eben nicht nur einen der einflussreichsten Filme der 1980er-Jahre, sondern zahlreiche Kultklassiker des Genrefilms. Für die Produktion von David Cronenbergs „Parasiten-Mörder“ („Shivers“, 1976) zeichnete sich Reitman genauso verantwortlich wie für den Anthologie-Streifen „Heavy Metal“ (1982). So war es auch Reitman, der mit „Twins – Zwillinge“ („Twins“, 1988) das komödiantische Talent von Schwarzenegger hervorbrachte und Schwarzeneggers Karriere damit einen vollkommen neuen Drive gab. Vorab war Schwarzenegger lediglich als knallharter Actionstar wahrgenommen worden. Auch zeichnete sich Reitman für die Produktion von John Landis‘ Collage-Comedy „Ich glaub’, mich tritt ein Pferd“ („National Lampoon’s Animal House“, 1978) verantwortlich und begründete mit dem Casting von Bill Murray in „Babyspeck und Fleischklößchen“ und „Ich glaub’ mich knutscht ein Elch!“ dessen Filmkarriere.
Ivan Reitman starb im Alter von 75 Jahren am 12. Februar 2022.
‐ Markus Haage