Über 100 Millionen US-Amerikaner sahen 1983 den Film „The Day After – Der Tag danach“ im US-Fernsehen. Ein Kulturereignis, welches seinesgleichen suchte. Das zweistündige TV-Drama handelt vom Dritten Weltkrieg, der mit nuklearen Waffen ausgefochten wird. Im Mittelpunkt stehen verschiedene Charaktere im US-Bundesstaat Kansas, welche die Folgen des nuklearen Holocausts erleiden müssen. Wissenschaftlich betrachtet war der Film sicherlich nicht perfekt. Das Konzept des nuklearen Winters war zum Produktionszeitpunkt noch nicht bekannt. Auch warf man den Film vor, zu sehr auf das Drama fokussiert gewesen zu sein und die wahren Auswirkungen eines Atomkrieges zu verharmlosen (als brutales Gegenstück sei der BBC-Film „Threads“ erwähnt, der ein Jahr später entstand). Dies mag stimmen, auch wenn eine Texttafel im Film darauf hinweist, dass die realen Auswirkungen weitaus schlimmer wären. Aber „The Day After“ versuchte eine große Masse von Menschen auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges für diese gnadenlosen Konsequenz des Wettrüstens zu sensibilisieren. Kein Zuschauer sollte den Fernseher ausschalten oder vergrault werden, sondern sich den Auswirkungen dieser „letzten Option“ bewusst werden. Der Film verfehlte sein Ziel nicht. Selbst US-Präsident Ronald Regean war zutiefst bewegt und schickte kurz nach den erfolgreichen Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion im Jahre 1987 ein Telegramm an Regisseur Nicholas Meyer, in dem er bestätigte, dass sein Film ihn tatsächlich zutiefst bewegte und motivierte. Auch bildeten sich nach der Ausstrahlung mehrere Friedensbewegungen in den USA, die eine Abrüstung forderten. Es gab natürlich auch Gegenreaktionen. John Milius‘ reaktionärer Actioner „Red Dawn – Die rote Flut“ (1984) als auch die Mini-Serie „Amerika“ (1987) verstanden sich als direkte, rechtskonservative Antwort auf „The Day After – Der Tag danach“. Beide Werke handeln von einem erfolgreichen Einmarsch der Sowjetunion in die USA.
Da „The Day After“ für das abendliche Hauptprogramm inszeniert wurde, hielten sich über die Jahrzehnte hartnäckig Gerüchte, dass es eine weitaus längere und gar brutalere Fassung geben soll. Einige Szenenbilder existieren sogar von verlängerten Szenen. Es ist richtig, dass der produzierende Sender ABC darauf bestand, einige Szenen zu entschärfen. Diese wurden allerdings für das US-amerikanische Videorelease als auch die deutsche Kinoveröffentlichung wieder eingefügt. Dennoch gab es unterschiedliche Schnittfassungen, die sich aber größtenteils nur im Detail unterscheiden. Für Schnittberichte.com hatte ich vor zehn Jahren mehrere aufwendige Schnittberichte dazu angefertigt.
Die Schnittberichte sowie einen ausführlicheren Text zu den verschiedenen Fassungen findet ihr auf Schnittberichte.com und/oder im Review zum Film auf unserer Seite.
Der Rough Cut
Nun ist nach mehr als 35 Jahren ein sogenannter Rough Cut im Netz aufgetaucht. Dieser (eher von minderer VHS-Qualität) enthält tatsächlich einige neue als auch verlängerte Szenen, kommt aber dem regulär veröffentlichten Film sehr nahe. Es ist somit eine Schnittfassung, die bereits in einem sehr späten Stadium der Nachproduktion angefertigt wurde. Es fehlen Effekteinstellungen, aber der Szenen- und Schnittablauf ist bereits relativ identisch mit der finalen Fassung. Die ein oder andere Szene wurde in der Abfolge verschoben. Des Weiteren befinden sich teils unterschiedliche/neue Kameraperspektiven oder Einstellungen zu bekannten Szenen im Rough Cut. Da ich mit dem Film sehr vertraut bin, habe ich einen groben Überblick bereits angefertigt und kann zumindest ein paar neue und/oder verlängerte Szenen als auch neue Einstellungen/Shots bestätigen. Selbstredend ist diese Liste nicht vollständig.
Dennoch fehlen im Rough Cut bereits Szenen, von denen wir wissen, dass sie abgedreht wurden. So zum Beispiel ein Kampf innerhalb der Universität um die letzten Essensvorräte oder auch Dr. Oakes Wanderung durch das zerstörte Lawrence Richtung Krankenhaus. Letzteres ist besonders interessant, weil Oakes laut Promobildern in der zerstörten Stadt eine verletzte Frau aufgreift und diese bis ins Hospital trägt. Die Ankunft im Krankenhaus ist nämlich im Rough Cut enthalten und wir sehen tatsächlich, wie Oakes eben diese Frau auf eine Trage legt. Nun folgen aber erst einmal die „neuen“ und/oder verlängerten Szenen/Einstellungen, die ich beim ersten Blick ausfindig machen konnte.
Neue Szene: Familienausflug
Länge: ca. 1:21 Min.
Um die Sorgen zu vergessen, machen die Dahlsberg einen kleinen Ausritt auf ihrer Farm. Diese Szene sollte wohl das normale Familienleben vor der Apokalypse wiederspiegeln.
Neue Szene: Die Raketen starten
Länge: ca. 0:29 Min.
Als die Atomraketen starten, sehen wir wie Denise‘ Verlobter auf offener Straße anhält und gen Himmel blickt. Die Szene war Fans bereits aus einem TV-Teaser von 1983 bekannt.
Neue Szene: Atombunker Kansas City
Länge: ca. 0:31 Min.
Wir sehen wie die Tochter von Dr. Oakes einem kleinen Mädchen während des Luftalarms versucht die Angst zu nehmen.
Erweiterte Szene: Oakes Wanderung
Länge: ca. 0:19 Min.
Dr. Oakes wandert länger durch die zerstörten Straßen von Lawrence.
Erweiterte Szene: Oakes Ankunft
Länge: ca. 0:09 Min.
Wir sehen wie Dr. Oakes bei seiner Ankunft im Krankenhaus eine Frau auf eine Trage legt.
Neue Szene: Highway
Länge: ca. 0:34 Min.
Als Soldat McCoy kurz nach den Atombombeneinschlägen durch die Gegend streift, entdeckt er einen geistig verwirrten Mann, der auf einem Autodach steht, eine Melodie summt und dazu dirigiert.
Neue Szene: Ruinen
Länge: ca. 0:27 Min.
McCoy wandert durch die Ruinen.
Neue Szene: Besprechung
Länge: ca. 2:11 Min.
Einer der interessantesten Cuts. Die Ärzte besprechen die Folgen der Radioaktivität auf ihre Patienten und was sie zu erwarten haben. Ein Arzt schlägt vor, die Todkranken von den Heilbaren zu trennen, um keine Ressourcen mehr zu verschwenden. Eine moralische Debatte entbrennt.
Neue Szene: Ankunft am Krankenhaus
Länge: ca. 0:54 Min.
Stephen bringt die todkranke Denise und den blinden Danny ins Krankenhaus nach Lawrence. Dort wird er abgewiesen. Er versucht trotzdem einzudringen, einer der Wärter zückt eine Waffe. In dem Moment kommt Dr. Hachiya per Zufall aus der Tür und gewährt ihnen Einlass. Danach gehen sie gemeinsam durch einen Krankenhausflur und unterhalten sich. Interessant ist, dass die ersten Szenen der Ankunft am Krankenhaus in der finalen Fassung während der Ansprache des US-Präsidenten gezeigt wurden.
Neue Einstellungen: Rede des Präsidenten
Während der Rede des Präsidenten sind drei neue kurze Einstellungen zu sehen. Auch von einer zerstörten Großstadt. Dies kann durchaus nur Füllmaterial aus einem anderen Film sein. Quasi ein Platzhalter. In der finalen Fassung findet sich ein solcher Shot nicht wieder.
Verlängerte Szene: Besprechung zur Lage der lokalen Landwirtschaft
Länge: ca. 0:19 Min.
Die Farmer treffen sich, um zu besprechen, was sie nun noch anpflanzen sollen. Die Szene wurde verlängert. Farmer Dahlberg sagt zu Bekannten, dass niemand ihn zwingen könnte, seine Tiere nicht zu verpflegen. Woraufhin ein anderer Farmer erwidert, dass man ihm sein Vieh auch wegnehmen könnte. Die Szene eröffnet übrigens auch mit einem neuen Shot.
Neue Szene: Aufnahme im Krankenhaus
Länge: ca. 1:19 Min.
Bei der Aufnahme von Kranken im Hospital erzählt ein Überlebender, wie er eine Woche in einem Fahrstuhl ausharrte. Daraufhin unterbricht ihn Dr. Hachiya und erinnert sich daran, dass seine beiden Kinder während der Atombombenexplosion im Kindergarten waren.
Verlängerte Szene: Gespräch mit Dr. Oakes
Länge: ca. 0:50 Min.
Dr. Oakes unterhält sich weitaus länger mit einer schwangeren Patientin. Diese fragt ihn, ob er noch an Gott glauben könnte und ob es überhaupt noch Hoffnung gäbe. Dr. Oakes glaubt nicht an Gott. Er arbeitet einfach nur noch weiter.
Neue Szene: Gespräch mit der Uni und Schwester Bauer
Länge: ca. 2:39 Min.
Dr. Oakes unterhält sich kurz über Funk mit dem Professoren aus der Universität. Man merkt beim Gespräch an, dass Oakes bereits verwirrt und strahlenverseucht ist. Krankenschwester Bauer betritt den Raum und bietet ihm scherzhaft eine Vitaminpille an. Danach entwickelt sich ein längeres Gespräch über Bauers familiäre Verhältnisse.
Verlängerte Szene: Aufnahme im Krankenhaus
Länge: ca. 1:19 Min.
Als der Soldat McCoy sich registrieren lässt, sieht er sich dazu gezwungen zu rechtfertigen, dass er nicht bei seinem Raketenstützpunkt geblieben ist, da dieser ein direktes Angriffziel gewesen wäre.
Neue Szene: Rückkehr zu Dahlberg-Farm
Länge: ca. 1:11 Min.
Stephen kehrt mit der todkranken Denise und ihrem blinden Bruder Danny zurück auf die Farm ihrer Eltern. Ein kurzer Blick reicht aus und Stephen weiß, dass hier niemand mehr lebt.
Verlängerte Szene: Kansas City
Länge: ca. 0:35 Min.
Dr. Oakes begibt sich zum Sterben nach Kansas City und wandert länger durch die zerstörte Stadt.
Dies war nur ein grober Überblick über die neuen oder verlängerten Szenen nach den Atombombeneinschlägen. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit befinden sich im ersten Drittel des Films noch weitere verlängerte oder gar neue Szenen.
‐ Markus Haage
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