Eine weitere Staffel von „The Walking Dead“ ist zu ende gegangen und das große Staffelfinale hätte in die Analen der Serie eingehen können, wenn man nicht im wahrsten Sinne des Wortes in der letzten Sekunde weggeblendet hätte…
Staffel 6 von „The Walking Dead“ hatte die Serie für mich gerettet. Nachdem ich vom Finale der fünften Staffel sehr enttäuscht gewesen bin, verlor ich die Serie fast aus den Augen. Ich besaß ursprünglich kaum noch Motivation zu ihr zurückzukehren. Mit der Entscheidung, Rick am Ende von Staffel 5 psychisch zusammenbrechen zu lassen, ohne das es größere Konsequenzen haben wird (er ist und bleibt schließlich der Protagonist), hatten die Autoren die Serie an die Wand geschrieben. Sie schienen dies erkannt zu haben, bereits die erste Episode von Staffel 6 ignorierte den Zusammenbruch von Rick weitestgehend. Es wird in Rückblenden darauf eingegangen, aber durch diesen erzählerischen Kniff, der für die Serie ungewohnt war, konnten sie den eigentlich inhaltlich langwierigen Prozess von Ricks geistiger Genesung umschiffen. Und so stieg Staffel 6 sehr rasant ein und bediente sich einer neuen Erzähldynamik. Dies tat der Serie unheimlich gut. Nebenbei wurde ein neuer Antagonist eingeführt, eine neue Bedrohung aufgebaut. Dies geschah über mehrere Folgen, teils sehr pfiffig. Ein Flüstern, ein Gerücht, eine Erwähnung des Namens reichte oftmals aus. Negan wurde Teil der Handlung. Der Zuschauer fieberte mit. Diejenigen, die die Comics kennen, wussten, was der Name zu bedeuten hatte. Die Frage war nicht, ob Negan auftritt, sondern nur wann. Und natürlich, ob sein Auftreten den gleichen Effekt haben wird, wie in der Comicvorlage. Das Finale der sechsten Staffel wurde dementsprechend geteast. Noch am letzten Freitag verkündete der Produzent stolz, dass am „Montag das Internet zum schmelzen gebracht wird.“ Teile des Cast warnten schon vorab, dass sie das Finale beim Lesen des Drehbuchs als „krank“ empfunden haben. Die Spannung stieg.
Doch dann kam das Finale. Es war ebenfalls von hoher Qualität. Ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Ricks und Negans Gruppe entbrannte, die Spannung stieg stetig, bis dann endlich der Teufel in Menschengestalt, Negan höchstpersönlich, aus dem Schatten trat. Was folgte waren die vielleicht intensivsten zehn Minuten der gesamten Serie. Großartig inszeniert, unglaublich eindringlich gespielt. Eigentlich ein Wendepunkt innerhalb der Serie. Aber dann kam der Abspann. Einfach so. Die Handlung wurde abgebrochen, mittendrin. Der Sinn dahinter? Es gibt keinen. Zumindest nicht aus erzählerischer Sicht, denn mit der Entscheidung das Finale in einem inhaltlich sinnlosen Cliffhanger enden zu lassen, haben die Produzenten einen der bedeutendsten Charaktere für einen billigen Soap-Opera-Trick ausgehöhlt. Ich dachte schon, dass die Musik der Lindenstraße über den Abspann einsetzen wird…
Negan ist nicht der Governor (er schreibt sich in der Serie tatsächlich so). Der Governor, wie der Spitzname es schon verrät, regiert. Negan regiert nicht, Negan beherrscht. Der Governor war ruchlos, brutal, teils sadistisch, insbesondere wenn er seinen Willen nicht bekam, aber man konnte mit ihm verhandeln. Er selber tat dies mit Rick. Negan hingegen hat daran keinerlei Interesse. Entweder man spielt nach seinen Regeln oder man spielt nicht mit. Negan stellt damit das absolute Böse dar. Man kann nicht mit ihm verhandeln, auf ihn einreden, ihn beschwichtigen. Er ist die Verkörperung der Gewalt, der man tragischerweise nur mit rücksichtsloser Gegenwalt entgegenkommen kann, wenn man ihr nicht ausgeliefert sein will. Bereits in vorangegangenen Folgen wurde dies deutlich, als Negan einen Bewohner einer anderen Siedlung einfach tötete, weil diese nicht genug Ernte einfahren konnte. Negan sagt, was dir gehört, gehört mir, ohne wenn und aber. Du akzeptierst dies nicht? Dann trägst du die Konsequenzen. So einfach ist das.
Rick lag demnach richtig, als er entschied, Negans Männer ohne Vorwarnung auszuschalten. Das Problem: Trotz dieser drastischen Entscheidung behielt er seine Menschlichkeit bei und beging in den beiden finalen Folgen den Fehler, sich zu sehr um das Wohl von Carol und Maggie zu kümmern. Der Grund, warum die Gruppe nun in den Fängen von Negan steckt, ist deren Rest von Mitgefühl gegenüber ihren Mitmenschen, welches Negan einfach nicht besitzt. Um Negan zu besiegen, muss man mindestens genauso böse werden wie er. Man kann sich keine Schwäche leisten. Mit diesem Build-up begann man bereits in Episode 8, als Daryl und Co. erstmalig auf Negans Männer trafen und sie in dessen Welt einführten. Sie waren nun Teil von Negans Welt. Ob sie das wollten oder nicht, ist irrelevant. Und sie realisieren es langsam. Man sieht es in ihren Gesichtern. Nie zuvor war die Gruppe so verängstigt oder schockiert. Sie sind von der Brutalität Negans vollkommen überwältigt.
Der Cliffhanger am Ende der Episode nimmt diesem fundamental wichtigen Moment jegliche Kraft. Negans erster Auftritt ist auch in der Comicvorlage ähnlich schockierend, nur wird er hier eben ausgespielt. Man zeigt die Konsequenzen von Negans Brutalität. Man weiß, wer stirbt. Und weil man es weiß, ist es umso schockierender. Es ist ein Schlag in die Magengrube. Man sieht nicht nur eben den Schlag, man spürt auch dessen Schmerz – und dieser hält an. Die Produzenten der Serie entschieden sich aber hier einen Stopp einzulegen und die Fans in Unwissenheit zu lassen. Vielleicht ist Daryl tot. Vielleicht auch nicht. Vielleicht Eugene. Vielleicht auch nicht. Vielleicht Michonne. Vielleicht auch nicht. Vielleicht Maggie oder Abraham. Vielleicht auch nicht. Wen interessiert’s? Klar, es macht einen erheblichen Unterschied, ob es Eugene oder Daryl trifft, aber es kann nun eben jeden treffen und damit auch gleichzeitig niemanden von Bedeutung. Vielleicht stirbt Daryl. Vielleicht nicht. Vielleicht Eugene. Vielleicht nicht. Spätestens bei Beginn der Dreharbeiten zu Staffel 7 im Juni werden wir wissen, wer nicht mehr dabei ist. Ein Setpic, welches die Charaktere zeigt, verrät dann bereits, wer überlebt hat. Gut, Spoiler können die Produzenten nicht verhindern, aber gerade das hätte auch dafür gesprochen, diesen bedeutsamen Moment nicht für einen albernen Cliffhanger zu opfern. Die Schockwirkung wird aufgeweicht. An die Tatsache, dass vielleicht Daryl oder gar Maggie stirbt, kann ich mich jetzt sechs Monate gewöhnen. Und wenn es einen Nebencharakter wie Eugene trifft? Okay, kein Problem.
Abgesehen von der Tatsache, dass wir doch wissen, dass jemand stirbt. Es hatte seinen Grund, warum Negans Ansprache so ausführlich war und fast zehn Minuten andauerte. Die Hoffnung auf Rettung sollte erlöschen. Nicht nur der Gruppe, sondern auch dem Zuschauer sollte bewusst werden, dass es diesmal keine Erlösung geben wird. Dies ist nicht Terminus, eine Last-Minute-Rettung wird nicht stattfinden. Negan selber erwähnt dies sogar. Die Frage, ob jemand stirbt, stellte sich somit nicht mehr, sondern nur noch die Frage, wer sterben wird. Die Entscheidung zu einem Cliffhanger ohne Auflösung steht damit im völligen Kontrast zur dargebotenen Handlung, zum gesamten Finale. An dieser Stelle einen Cliffhanger einzubauen und die tatsächliche dramatische Konsequenz von Negans Handlung offen zu lassen, zerstört den Moment und zerstört den Charakter von Negan zusätzlich. Und diese Szene ausspielen zu lassen, hätte sie weitaus bedeutsamer wirken lassen. Es ist eben ein Wendepunkt innerhalb der Handlung, so wie es in der Serie „Game of Thrones“ die „Rote Hochzeit“ gewesen ist. Niemand kam hier auf die Idee, den Abspann einfach ohne Auflösung zu zeigen. Warum? Weil die dort aufgezeigte Brutalität, der wichtige handlungstragende Charaktere ausgeliefert sind, von fundamentaler Bedeutung für die gesamte Storyline ist.
Man stelle sich nur vor, Negan hätte Daryl getötet und der Zuschauer hätte dies miterleben müssen. Es herrscht schockierte, ungläubige Stille. Negan wendet sich seinem Publikum zu (hier: Ricks Gruppe; im übertragenen Sinn: der Zuschauer), welches er in seiner bekannten Art und Weise zusätzlich verspottet. Nach dem Schock, dass der Fanliebling Daryl tot ist, hätte Negan „in die Kamera” (= zur Gruppe, zum Zuschauer) geschaut, und die Folge mit den Worten beendet: „You can cry, you can mourn, you can scream, you can RRRRIIIOOOOOT*. But you can’t change the fact that you are now living in Negan’s world. [kurze Pause] And I am Negan.“ Bäm, Credits. Aber so, wie es jetzt ist, bleibt einfach nur ein Gefühl der Leere zurück. Die Konsequenz fehlt, der emotionale Impact. Soll ich mich als Zuschauer überhaupt sechs Monate lang (bis zum Start von Staffel 7) wirklich fragen, wer denn nun gestorben ist? Echt jetzt? Was soll der Sinn dahinter sein? Dieser eine unglaublich bedeutende Moment wird dadurch nur unnötig in die Länge gestreckt und verliert damit seine gesamte Kraft.
Selbst den Produzenten ist es bewusst, dass sie sich hier wohl etwas verkalkuliert haben. In der Talkshow „The Talking Dead“, die in den USA immer im Anschluss an eine Folge läuft, sagte Showrunner Gimple über die erste Folge von Staffel 7 folgendes:
„We have to do an episode that justifies it to you. We have to do something so great and so intense that you’re like, ‘OK, fair play.’ And that’s the challenge we have and we’re going to deliver you something fantastic… We want you to be one of those people in that lineup. We want you to feel that suspense and that terror and that pain, and we’re going to deliver you a story next season that justifies it.“
Argumentativ wird also der Zuschauer schon auf eine „großartige“ Eröffnung von Staffel 7 vorbereitet, die den Cliffhanger rechtfertigen soll. Ein neuer Hype entsteht, erneut wird Spannung aufgebaut. Erfahrungsgemäß wird das dann aber mal wieder recht flach ausfallen. Zu oft baute die Serie Spannung auf und verflachte daraufhin.
Der alberne Cliffhanger am Ende von Staffel 6 ist weder smart, noch kreativ oder pfiffig. Er nervt und ruiniert einen ganz besonderen (eigentlich epochalen) Moment innerhalb der Serie. Einen Moment, auf den die gesamte Staffel hingearbeitet hat, einen Moment auf den die Zuschauer hingefiebert haben, für den sie Emotionen und Interesse investiert haben, einen Moment, der großartig inszeniert, gespielt und geschrieben war. Aber es gibt keinen Pay-off, es gibt einen Cliffhanger. Ein erzählerisches Gimmick, welches für das Erzählen einer Geschichte keinen Mehrwert besitzt. „The Walking Dead“ degradiert sich damit selber. Wenn eine Geschichte nicht mehr auserzählt werden kann, dann ist sie es vielleicht auch nicht wert, überhaupt erzählt zu werden.
(* = Das Wort „riot“ wäre ein schöner fieser Seitenhieb auf das Fan-Mem „When Daryl dies, we riot.“ gewesen.)
‐ Markus Haage
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