Zum fünfzehnjährigen Geburtstag des ersten Teils erscheint in Deutschland nun als Video-on-Demand das mittlerweile siebte Kapitel der „Paranormal Activity“-Reihe. Ein Neubeginn findet statt, der die Filmreihe – wenn man zumindest das Ende richtig interpretiert – auf weitaus größere Ebenen hieven könnte.
Offizielle Synopsis: Eine Dokumentarfilmerin folgt Margot (Emily Bader), die zu einer abgelegenen Amish-Gemeinschaft aufbricht in der Hoffnung, ihre lange verschollene Mutter und ihre erweiterte Familie zu treffen und etwas über sie zu erfahren. Nach einer Reihe seltsamer Vorkommnisse und Entdeckungen wird ihr bald klar, dass die Gemeinschaft, die sie in ihrem Haus willkommen geheißen hat, etwas Unheimliches verbergen könnte …
Es war auf dem Sundance Filmfestival 1999, als Jason Blum, damals noch ein Mitarbeiter für Miramax, einen kleinen, günstig produzierten Independent-Horrorfilm für den Vertrieb ablehnte. Der Name des Films? „Blair Witch Project“ („The Blair Witch Project“, 1999). Ein Horrorfilm, der innerhalb des Genres als Zäsur gilt, das Subgenre Found Footage bei der Masse popularisierte und sich zeitweise zum erfolgreichsten Independentfilm aller Zeiten etablierte. So erfolgreich, dass selbst etablierte Horror-Franchises, wie etwa die Halloween-Reihe mit „Halloween: Resurrection“ (2002), versuchten, auf dem Erfolg mitzuschwimmen. Doch das bahnbrechende Original ließ sich kaum kopieren. Dazu war es schlichtweg zu eigenwillig und originell. Selbst die erste Fortsetzung, „Blair Witch 2“ („Book of Shadows: Blair Witch 2“, 2000) verstand sich als klassischer Horrorfilm und wiederholte das Original weder inhaltlich noch inszenatorisch. Doch, dass das Found-Footage-Genre doch noch weitaus mehr inszenatorische Möglichkeiten besaß, bewies man nur wenige Jahre später. Mit „Cloverfield“ (2007) kam im Januar 2007 ein Big-Budget-Found-Footage-Film in die Kinos, der vom Publikum und den Kritikern begeistert aufgenommen wurde. Es war streng genommen kein reiner Horrorfilm, auch wenn sich Elemente dieses Genres natürlich in der Handlung wiederfanden. Für das Horrorgenre sollte allerdings abermals eine weitaus kleinere Produktion für Furore sorgen, die in einem absoluten Gegensatz zur Großproduktion „Cloverfield“ stand.
Den Fehler, einen bahnbrechenden Independent-Horror wie „Blair Witch Project“ nicht einzukaufen, sollte Jason Blum kein zweites Mal machen. Als ihm ein DVD-Screener zum Found-Footage-Horror „Paranormal Activity“ (2007) in die Hände fiel, erkannte er sofort das Potenzial. Er kontaktierte Regisseur Oren Peli, der den Film innerhalb einer Woche für ein Budget von weniger als 15.000 US-Dollar (nicht inflationsbereinigt) inszenierte und produzierte, und nutzte seine Kontakte, um das Werk bei einem großen Vertrieb unterzubringen. Mit Paramount Pictures wurde ein Distributionsdeal ausgehandelt, der den Independent-Streifen zu einem Blockbuster machen sollte. Fast 200 Millionen US-Dollar konnte „Paranormal Activity“ 2009 an den internationalen Kinokassen einspielen (nicht inflationsbereinigt). Aus diesem Erfolg entstand letztlich eine Partnerschaft, die ähnlich wie bei Newline Cinema in Bezug auf die „Nightmare on Elm Street“-Reihe (1984-1994), eines der derzeit bedeutendsten Filmstudios im Horrorbereich begründen sollte: Blumhouse Productions. Fünf Fortsetzungen sollten demnach folgen, die inhaltlich die Welt des ersten Teils stets ausbauten. Doch jede Filmreihe läuft irgendwann aus. Mit dem sechsten Teil, „Paranormal Activity: Ghost Dimension“ („Paranormal Activity: The Ghost Dimension“, 2015), konnte man nicht einmal mehr ansatzweise an die Erfolge der Vorgänger anknüpfen. Das Franchise ruhte, aber natürlich nur für eine gewisse Zeit.
Nach sechs Jahren Pause begibt sich die Filmreihe mit „Paranormal Activity: Next of Kin“ (2021) nun inhaltlich in neue Gefilde. Die Geschichte um Kathie (Kathie Featherstone) und ihre seit Jahrzehnten von einem Dämon heimgesuchte Familie wurde nicht nur abgeschlossen, mit dem nunmehr siebten Teil wird ein vollkommen neues Kapitel aufgeschlagen. Vom sonnigen Kalifornien zieht man nun in das dunkle Pennsylvania der Winterzeit weiter. Eine Amish-Community steht im Mittelpunkt der Geschichte, die ein dunkles Geheimnis in sich trägt. Um dieses zu lüften und sich auf die Spuren ihrer Mutter zu machen, die aus eben dieser Community stammt, begleitet der Zuschauer die junge Margot (Emily Bader) bei ihrer Reise in die vermeintliche Heimat, zu der sie vorab noch nie Kontakt hatte. Mit dabei: zwei Freunde, die mit ihrem Kamera-Equipment diese Reise einfangen sollen. Auch wenn anfangs alles normal wirkt, passiert natürlich, was passieren muss: es kracht, es zischt, … zu sehen ist nüschds! Zumindest bis zum Ende, wenn das Werk vollends aufdreht und der komplette Wahnsinn ausbrechen darf. Hierbei versieht Regisseur William Eubank die Geschichte mit einigen Wendungen, die das Verhalten der Antagonisten nicht entschuldigen, aber zumindest erklären kann und den Film in diesen Momenten über den Found-Footage-Standard zumindest inhaltlich hebt. Und so kommt der Zuschauer schnell zum Schluss, dass „Paranormal Activity: Next of Kin“ als klassischer Spielfilm ebenfalls hervorragend funktioniert hätte. Teilweise bedient er sich sogar dieser inszenatorischen Stilmittel und diese werden bewusst mit dem Found-Footage-Stil vermischt.
Dies liegt natürlich auch in einer Grund-Misere dieses Subgenres begründet: Menschen, die um ihr Leben rennen, dokumentieren mit einer Kamera auf ihrer Schulter nicht mehr wirklich atmosphärisch das Geschehen. Zumindest nicht so, dass ein Publikum folgen kann (exemplarisch können hierfür zahlreiche Smartphone-Videos aus den sozialen Netzwerken angesehen werden). Somit wird im Found-Footage-Genre stets eine Art Pseudo-Realität eingefangen und das Prinzip Shaky-Cam als realistische Darbietung verkauft. Bei „Paranormal Activity: Next of Kin“ sorgt dieses für eine bemerkenswerte Vermischung, die letztlich die Grenzen zwischen Mockumentary und Spielfilm aufweicht. Über den Abspann wird sogar ein Song gespielt und die Credits sind so gestaltet, dass die Illusion echten Filmmaterials vollends zerbricht. Found Footage entwickelt sich somit endgültig zu einem reinen Stilmittel. Dem Film schadet dies aber nicht zwingend, auch weil nach mittlerweile sechs Filmen der Zuschauer sich auch über die Täuschung natürlich vollends bewusst ist (oder sein sollte). Wovon „Blair Witch Project“ noch zehren konnte, nämlich einer gewissen Naivität seitens des Publikums, steht für den nunmehr siebten Teil der „Paranormal Activity“-Reihe nicht mehr zur Verfügung. Die Schauwerte müssen nicht nur erhöht, ihre Inszenierung ebenfalls überdacht werden. „Paranormal Activity: Next of Kin“ schafft dieses allerdings mit Bravour, auch, weil die Geschichte ihre gewissen Wendungen besitzt, die vor allem den Antagonisten eine überraschende Tiefe geben.
Als inhaltlicher und visueller Mehrwert begibt sich der Zuschauer mit den Protagonisten in eine Art von Parallelwelt. Eine Amish-Community wird aufgesucht, die ihren Glauben recht konservativ auslebt. Es ist eine Reise in eine andere Zeit, die im totalen Kontrast zur Moderne und ihrer Protagonisten steht. Ein interessantes Gegenspiel, da man sich offensichtlich tatsächlich die Mühe machte, alltägliche Dinge der Vergangenheit und Eigenheiten der Community in die Handlung einfließen zu lassen. Dies verleiht dem Setting wiederum eine gewisse Tiefe und neben dem zu erwartenden Spuk eine erfrischende Abwechselung. Die Auflösung des Plots geschieht Schritt für Schritt und abermals ist nichts so, wie es zu sein scheint. Hierbei legt das Werk einen hohen Wert auf die zahlreiche Nebenfiguren, die oftmals nur über Mimik und Gestiken preisgeben, dass hinter dem eigenwilligen Verhalten noch etwas anderes steckt. Besonders bemerkenswert ist das Spiel von Tom Nowicki als Jacob, dem Oberhaupt der Amish-Gruppe. Demnach sei auch empfohlen, den Film im Original zu schauen. Zahlreiche Nuancen in der Sprache werden bei einer Synchronisation wohl leider verloren gehen. Das berühmte Pennsylvania Dutch, das eigentümliche Deutsch der Amish-Community, welches mit englischen Wörtern und starken regionalen Akzenten vermischt ist, dürfte vollends verloren gehen oder zumindest die tief in der Vergangenheit verwurzelte Welt einen Teil ihres Charmes verlieren.
„Paranormal Activity: Next of Kin“ überrascht und will dem eingeengten Setting der Vorgängerfilme entfliehen, indem es nicht nur eine neue Art von Dämon einführt, sondern die Welt der Reihe auch drastisch erweitert. Zwar versuchte man dies bereits mit „Paranormal Activity: Die Gezeichneten“ („Paranormal Activity: The Marked Ones“, 2014) oder „Paranormal Activity: Ghost Dimension“, doch waren diese Werke stets an die Mythologie des ersten Films gebunden. Inszenatorisch als auch inhaltlich. Dass in der Filmreihe durchaus noch Neues stecken kann, beweist „Next of Kin“ hervorragend, auch wenn der eigentliche Sinn einer Mockumentary oder eines Found-Footage-Films hierbei etwas verloren geht. „Next of Kin“ ist vielleicht der klassischste Horrorfilm der Reihe und eröffnet damit für das Franchise ganz neue Möglichkeiten, die in wohl noch kommenden Sequels die Welt der „übernatürlichen Aktivitäten“ massiv erweitern könnten.
‐ Markus Haage
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