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„Scream“ (USA, 2022)

verfasst am 12.Januar 2022 von Markus Haage

(© Paramount Pictures Germany GmbH)

Vor mehr als 25 Jahren belebte Wes Craven, den die Filmindustrie bereits als Relikt der 1970er- und 80er-Jahre abgeschrieben hatte, das Slashergenre mit „Scream – Schrei!“ neu. Drei Fortsetzungen folgten, die sich allesamt als teils parodistische Kommentare auf den zeitgenössischen Horrorfilm verstanden. Nun soll ein weiterer Film unter gleichem Titel in die großen Fußstapfen des Originals treten. Ein Film, der sich seiner Ursprünge und Funktion vollends bewusst ist.

Offizielle Synopsis: Niemand ist sicher in Woodsboro… und jeder verdächtig! Nach 25 Jahren ist Ghostface zurück, um das eigentlich beschauliche Örtchen erneut in Angst und Schrecken zu versetzen. Doch mit Neve Campbell, Courteney Cox und David Arquette stehen bekannte Gesichter des Horror-Franchise unter der Regie von Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett bereit, um dem ikonischen Killer erneut die Stirn zu bieten. Ob sie die Regeln noch kennen, um in einem Horrorfilm zu überleben?

Die Väter und Ursprünge von „Scream“

Ein Leben voller Gegensätze: Nach einer kurzen Karriere als Englisch-Lehrer, stieg Wes Craven verhältnismäßig spät ins Filmgeschäft ein, und als er dies tat auch noch über ein anrüchiges Genre. Zahlreiche Erotikfilme inszenierte er, war sogar an dem legendären Pornofilm „Deep Throat“ (1972) beteiligt und sein erstes seriöses Werk, „Das letzte Haus links“ („The Last House on the Left“, 1972), sollte sich zu einem Kulturschocker entwickeln, der in Deutschland gar über mehrere Jahrzehnte wegen vermeintlicher Gewaltverherrlichung beschlagnahmt (umgangssprachlich: verboten) wurde. Craven verstand seinen Film als moderne Variante von Ingmar Bergmans Oscar-prämierten Werk „Die Jungfrauenquelle“ („Jungfrukällan“, 1960), die etablierte Presse zerriss es dennoch. Ähnlich erging es seinem dritten Spielfilm „Hügel der blutigen Augen“ („The Hills Have Eyes“, 1977). Craven setzte sich im Rahmen eines Horrorfilms mit den Atombombentests der US-Regierung in der Einöde Nevadas auseinander. Vollkommen reißerisch, keine Frage, aber in seiner rauen Inszenierung steckte ähnlich wie bei „Das letzte Haus links“ viel Ehrlichkeit. Stilistisch war Craven ein Teil des „New Hollywoods“. Für das Horrorgenre bedeutete dies, dass er mit seinen Werken dem opulenten und teils theatralischen Grusel der Universal- und Hammer-Filme entfloh und diesem ein real-wirkendes Grauen entgegensetzte. So real, dass er die Werke selber nicht einmal als Horrorfilme klassifizieren würde. In einem Interview mit AintItCool.com sagte er noch im Jahre 2009, dass sich „Das letzte Haus links“ für ihn nicht einmal wie ein Horrorfilm, sondern eher wie ein „bizarrer, politischer Kommentar verpackt als B-Movie“ anfühlen würde („I mean Last House on the Left didn’t feel like a horror film so much as a bizarre political commentary in a B-movie format.“).

Doch auch Craven ging mit der Zeit. Durch den ansteigendem Erfolg und damit verbunden höheren Budgets wandelte er sich zu einem inszenatorisch weitaus eleganteren Filmemacher. Mit „Night Kill – Eine tödliche Bedrohung“ („Stranger in Our House“, 1978), „Tödlicher Segen“ („Deadly Blessing“, 1981), „Das Ding aus dem Sumpf“ („Swamp Thing“, 1982) und „Exit – Ausgang ins Nichts“ („Invitation to Hell“, 1984) inszenierte er innerhalb von sechs Jahren vier Filme und begann zum gleichen Zeitpunkt mit der Produktion von „Im Todestal der Wölfe“ („The Hills have Eyes II“, 1984), doch keines der Werke war von einem großen kommerziellen Erfolg gesegnet. Dies änderte sich erst mit „Nightmare – Mörderische Träume“ („A Nightmare on Elm Street“, 1984). Ein Film, der aus einer gewissen Not heraus geboren wurde. Craven wollte aus rein kommerziellen Gründen die Slasherwelle nutzen und fand in dem damaligen Vertrieb New Line Cinema einen Finanzier. Dessen Firmenchef Robert Shaye war von Cravens Idee begeistert und riskierte sein gesamtes Vermögen, um das Werk umzusetzen. Craven erfand das Slashergenre natürlich zu diesem recht späten Zeitpunkt nicht – mit Werken wie „Halloween – Die Nacht des Grauens“ („Halloween“, 1978), „Freitag der 13.“ („Friday the 13th“, 1980) oder „Brennende Rache“ („The Burning“, 1981) war es bereits beim Massenpublikum fest etabliert –, aber definierte es in gewisser Hinsicht aufgrund seines einmaligen Settings neu und brachte frischen Wind in das bereits redundante Subgenre.

Wes Craven und Johnny Depp am Set von „Nightmare – Mörderische Träume“ (1984).
(© New Line Cinema. All Rights Reserved.)

„Nightmare – Mörderische Träume“ entwickelte sich vollkommen unerwartet zu einem globalen Hit, der sechs Fortsetzungen und eine TV-Serie nach sich ziehen und das Horrorgenre der 1980er-Jahre maßgeblich prägen sollte. Auch für New Line Cinema ein Glücksgriff. Die „Nightmare on Elm Street“-Reihe verwandelte das vorab bedeutungslose Independent-Studio in einen Globalplayer, der nur dreizehn Jahre später die Produktion der „Herr der Ringe“-Trilogie (2001–2003) in Angriff nahm und letztlich vom Majorstudio Warner Bros. aufgekauft wurde. Craven war aber nicht Teil dieses Erfolges. Die Rechte an der gesamten Reihe besaß New Line Cinema und aufgrund des kommerziellen Erfolges war das Studio bemüht, jedes Jahr einen neuen Film der Reihe zu veröffentlichen. Ein Tempo, mit dem Craven nicht mithalten wollte, auch wenn er ein Drehbuch zum dritten Teil – aufgrund seiner Unzufriedenheit mit der ersten Fortsetzung – verfasste, das allerdings abgelehnt wurde.

Während die Nightmare-Filme zu Welthits mutierten und sich dessen Hauptfigur Freddy Krueger (Robert Englund) zu einer Pop-Ikone wandelte, wandte Craven sich neuen Projekten mit schwankendem Erfolg zu. Werke wie „Die Schlange im Regenbogen“ („The Serpent and the Rainbow“, 1988) oder „Das Haus der Vergessenen“ („The People Under the Stairs“, 1991) konnten vor allem Genre-Kritiker begeistern, das Publikum aber nicht sonderlich beeindrucken. Mit „Shocker“ (1988) versuchte er erneut, mit einem kreativen Twist das Slashergenre zu bedienen, doch das Subgenre hatte ihren Zenit bereits überschritten. Dies realisierte sogar New Line Cinema und beendete mit „Freddy’s Finale – Nightmare on Elm Street 6“ („Freddy’s Dead: The Final Nightmare“, 1991) die Reihe. Man inszenierte sogar ein Begräbnis für Freddy Krueger als Promotion-Gag. Wer möchte, kann dies als Beerdigung eines ganzen Subgenres ansehen.

Nur drei von Wes Cravens Filmen.
(© New Line Cinema, Universal Pictures. All Rights Reserved.)

Wie viele andere Regisseure aus dem Horrorgenre der 1980er-Jahre hatte Craven Probleme in den 90er-Jahren Fuß zu fassen. Ein Wandel hatte stattgefunden. Die teils düsteren 80er-Jahre, geprägt von der steten Angst eines nuklearen Holocausts, wandelten sich zu einer Spaß-Gesellschaft. Der Kalte Krieg war beendet, neue Bedrohungen noch in der Ferne. Auch die Horrorwelt musste sich dem anpassen und neu erfinden. Craven versuchte dies mit einem Twist und kehrte zu seiner Figur Freddy Krueger zurück. Im Meta-Horrorfilm „Freddy’s New Nightmare“ („Wes Craven’s New Nightmare“, 1994) holte er den Traumkiller in die „reale“ Welt zurück. Die Handlung spielte an einem Filmset. Der fiktive Albtraum von der Leinwand sollte sich in der filmischen Realität manifestieren. Die Fans der ursprünglichen Reihe konnten dem Versuch den „Nightmare“ neu zu erfinden, nicht sonderlich viel abgewinnen. Der Film war kein Flop, aber weit hinter den Erwartungen des Studios. Eine Fortsetzung sollte es nie mehr geben, wenn man vom Spin-Off „Freddy vs. Jason“ (2003) absieht. Man könnte diesen Misserfolg als ein weiteres Indiz dafür ansehen, dass Cravens Zeit als innovative Kraft des Horrorfilms abgelaufen war, doch die grundlegende Idee, den Horror von der Leinwand auf eine andere filmische Realität zu übertragen, sollte letztlich der Schlüssel zum nächsten Erfolg werden: „Scream – Schrei!“ („Scream“, 1996).

Ein Schrei belebt ein Subgenre wieder

In weniger als drei Tagen soll der junge Drehbuchautor Kevin Williamson das Skript zu „Scream – Schrei!“ verfasst haben. Damals allerdings noch unter dem Titel „Scary Movie“. Es war immer als eine zeitgemäße Satire auf den modernen Horrorfilm gedacht. Das Potenzial des Drehbuchs und natürlich von Williamsons Talent wurde früh erkannt. Ein Bieterwettstreit entstand, den letztlich die berüchtigten Weinsteins für ihre Produktionsfirma Dimension Films gewannen. 400.000 US-Dollar (nicht inflationsbereinigt) sollen sie gezahlt haben. Eine enorm hohe Summe, die selbst Mitbietern wie Oliver Stone zu hoch erschien. Für Dimension Films war das Projekt aber perfekt geeignet. 1993 gegründet, konzentrierte sich das kleine Independent-Studio vornehmlich auf die Produktion von Horrorfilmen. „Kinder des Zorns 2 – Tödliche Ernte“ („Children of the Corn II: The Final Sacrifice“, 1993), „Halloween VI – Der Fluch des Michael Myers“ („Halloween: The Curse of Michael Myers“, 1995), „From Dusk Till Dawn“ (1996) oder „Hellraiser IV – Bloodline“ (1996) entstanden unter diesem Banner. Nicht immer Kassenknüller, aber stets profitabel. „Scream – Schrei!“ sollte vieles ändern und Dimension Films zeitweise zum bekanntesten Independent-Studio der Filmwelt avancieren lassen. Wes Craven war anfangs allerdings nicht daran interessiert, die Regie zu übernehmen. Nur zögerlich sagte er zu, und auch erst, nachdem man Drew Barrymore castete und sie als vermeintliche Hauptdarstellerin, die das Poster ziert, bereits in der Eröffnungsszene sterben lässt. Ein Twist, der sich bezahlt machte und für enormen Gesprächsstoff sorgte. Craven erkannte das Potenzial, wenn auch spät, und nahm den Regieposten letztlich an. Eine Entscheidung, die er nie bereuen sollte.

Die originale Trilogie von Wes Craven und Kevin Williamson.
(© Dimension Films)

„Scream – Schrei!“ entwickelte sich nicht nur zu einem globalen Hit, sondern auch zu einem kulturellen Phänomen, das das Subgenre des Slasherfilms wiederbelebte und innerhalb von nur vier Jahren zwei weitere Fortsetzungen unter der Regie von Craven und nach einer Idee von Williamson nach sich ziehen sollte. Eine intensive Zeit für beide Filmemacher, die bei der Produktion in gewisser Hinsicht als eine Art von Vater/Sohn-Konstellation fungierten. Der Vater kehrte zu dem Subgenre zurück, dass er maßgeblich beeinflusst hatte, um den Sohn, der es bediente, zu unterstützen. Der überraschende Megaerfolg von „Scream – Schrei!“ machte Williamson zu dieser Zeit zu einem der einflussreichsten Autoren Hollywoods. So erschuf er nicht nur die Hitserie „Dawson’s Creek“ (1998–2003) und koproduzierte „Halloween H20“ („Halloween H20: Twenty Years Later“, 1998), sondern verfasste auch die Drehbücher zu weiteren populären Horrorfilmen, wie etwa „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ („I Know What You Did Last Summer“, 1997) als auch „The Faculty – Trau keinem Lehrer!“ („The Faculty“, 1998), und führte bei „Tötet Mrs. Tingle!“ („Teaching Mrs. Tingle“, 1999) Regie. Die Scream-Trilogie war somit nur ein Teil seines Schaffens, auch wenn diese stets im Mittelpunkt stand.

Nach der Trilogie folgte das Remake.
(© Universal Pictures Germany GmbH)

Die Filme waren so konzipiert, dass jeder Teil einen Aspekt einer typischen Horror-Filmreihe parodiert. Da der dritte Teil allerdings viele Erwartungen nicht erfüllen konnte, vielleicht auch, weil Schöpfer Williamson nicht das Drehbuch schrieb, galt die Reihe lange Zeit als beendet. Hierin liegt eine gewisse Ironie begraben, sind es doch oft die dritten Teile, die das Niveau der Vorgänger als Höhepunkt einer Trilogie oftmals nicht halten können. Es wäre fast schon genial, wenn dies das Konzept von „Scream 3“ (2000) gewesen wäre, aber natürlich war es an niemanden gelegen hinter den Erwartungen zu liegen. Aufgrund des Erfolges der Reihe – auch Teil 3 schnitt an den Kinokassen nicht schlechter ab als seine Vorgänger – wollte Bob Weinstein aber stets eine weitere Fortsetzung inszenieren. Wes Craven und vor allem Hauptdarstellerin Neve Campbell zeigten allerdings kein großes Interesse. Erst 2009 begann man damit Gespräche über einen möglichen vierten Teil zu führen. Craven verkündete dies gar offiziell auf dem damals neuen Medium Twitter. Die Zeiten hatten sich teils drastisch geändert. Zwischen „Scream – Schrei!“ und „Scre4m“ (2011) sollten letztlich fünfzehn Jahre liegen, die vor allem technologisch nicht unterschiedlicher hätten sein können. Smartphones, das Internet, selbst Streaming hielt Einzug im Film und wurde dementsprechend referenziert, und thematisch beschäftigte sich das Werk nun mit endlosen Fortsetzungen und Remakes. So eröffnet „Scre4m“ nicht nur mit einem Film im Film, sondern mit einem Film in einem Film im Film. Der Erfolg von „Scre4m“ war dennoch bescheiden. Bei einem Budget von rund 40 Millionen US-Dollar konnte der vierte Teil weltweit nur 97 Millionen US-Dollar (nicht inflationsbereinigt) einspielen. „Scream“ war Kult, die Zuschauerschaft schien aber bereits weitergezogen zu sein. Für Wes Craven sollte es der letzte Film seiner Karriere sein. Er verstarb im August 2015 an den Folgen eines Hirntumors.

Wes Craven am Set von „Scream“ (1996) mit Hauptdarstellern Neve Campbell und Skeet Ulrich.
(© Miramax, LLC. All Rights Reserved.)

Das Erfolgsgeheimnis der Scream-Reihe bestand sicherlich nicht nur im klassischen „Whosdunnit?“-Format, somit das Rätselraten um die Identität des Mörders, sondern vor allem auch in dessen stets aktuellen Kommentar über den Stand des zeitgenössischen Horrorfilms. Gerade „Scre4m“ hatte dies inhaltlich, wenn auch nicht kommerziell erfolgreich genug, mit Bravour gemeistert. Die Wiederholung gewisser Elemente aus den Vorgängerfilmen als auch das exzessive Finale, in dem der Killer mehrmals zur Strecke gebracht werden muss, verdeutlichte die ewige Redundanz zahlreicher Horrorfilmserien. Die besten Elemente werden stets kopiert und einem gewissen Remix unterworfen. Nach dem bekannten Motto „Same but different“ wird Sequel nach Sequel produziert. Und sollte selbst ein Remake wie „Scre4m“ nicht mehr lukrativ genug sein, so inszeniert man dann doch ein Reboot, welches heutzutage als sogenanntes Legacy-Sequel getarnt vortäuschen soll, dass eine inhaltliche Weiterentwicklung existieren würde. Craven verstand dies schon frühzeitig. Er kannte die Regeln seines Genres in- und auswendig, und so lieferte er mit seinem finalen Film einen letzten (fast schon prophetischen) Kommentar auf das ab, was das Horrorgenre in der kommenden Dekade dominieren sollte. Aktuell wird gar darüber spekuliert, dass selbst der Killer Jigsaw für eine erneute Fortsetzung der Saw-Reihe zurückkehren soll, obwohl dieser bereits im dritten Teil gestorben ist und in mittlerweile sechs Sequels im Geiste, inklusive einer Art von Remake („Jigsaw“, 2017) und Reboot („Saw: Spiral“, 2021), versucht wurde, über Referenzen, Easter Eggs und teils absurd eingestreute Plot Points am Leben zu halten.

In diesem Sinne kann auch Ghostface, der Killer aus „Scream – Schrei!“ nicht sterben. Schon deswegen nicht, weil seine Identität stets wechseln kann. Sämtliche Ghostfaces wurden in der Vergangenheit hingerichtet und doch kehrt er (oder auch sie) stets zurück. Hier benötigt man nicht einmal mehr eine ausgefallene Originstory oder besondere Merkmale. Selbst Jason Voorhees oder Freddy Krueger durften in jedem Film neu interpretiert werden. In der „Scream“-Reihe findet die größtmögliche Anonymisierung und die absichtliche Reduzierung des Killers auf wenige ikonische Eigenheiten statt, die jeder Zuschauer, unabhängig von Alter oder Geschlecht, sofort identifizieren kann. Selbst der Offenbarungsakt beim großen Finale ist inhaltlich stets recht irrelevant. In „Scream 3“ trieb man es absichtlich absurd auf die Spitze, indem es vorab keinerlei Verweis auf die Identität des Killers gab und dessen Hintergrund vollkommen theatralisch das bis dahin bestehende Franchise neu verknüpfen sollte. Ein „Man behind the Curtains“, eine Art Imperator als ultimatives Böse für einen großen Schocker zum Ende der Trilogie, trat in Erscheinung. Es hätte nicht funktionieren dürfen und tat es doch irgendwie, weil die Identität des Killers letztlich zweitrangig ist und der Film sich dessen bewusst war und dies auf absurde Weise demonstrierte.

Ghostface kehrt in „Scream“ (2022) erneut zurück.
(© Paramount Pictures Germany GmbH)

So verwundert es auch nicht, dass man beim mittlerweile fünften Teil der Reihe selbst dem Titel keinen Zusatz mehr gibt. Die vierte Fortsetzung innerhalb von 25 Jahren ist somit nicht „5cream“ oder „Scream 5“, sondern einfach nur … „Scream“. Ein ewiger Reboot, aber für eine vollkommen neue Generation, die vielleicht noch nicht einmal geboren war, als die Neuverfilmung von Cravens „Hügel der blutigen Augen“ anno 2005 in die Kinos kam. Zur Erinnerung: Der originale „Scream“ erschien gerade einmal zwölf Jahre nach dem Release von „Nightmare – Mörderische Träume“. „Scream“ (2022) erscheint elf Jahre nach der Veröffentlichung von „Scre4m“. Die Darsteller der alten Filme, die vor 25 Jahren als „junge Wilde“ ihre Karrieren begannen, sind nun die alte Garde, die sich mit Botox frisch halten muss. Und auch darüber ist sich der fünfte Teil vollends bewusst. „Scream“ ist für eine neue, junge Generation gedacht.

Der neuste Schrei

Nach zehn Jahren kehrt das Grauen nach Woodsboro zurück. Ghostface schleicht erneut umher und meuchelt wahllos Menschen nieder. Doch hinter den Morden scheint ein Konzept zu stehen und eine Gruppe Jugendlicher scheint im Fokus des Mörders zu sein. Um zu überleben, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als um die Hilfe der Überlebenden der alten Ghostface-Morde zu bitten. Diese sind bereit zum wiederholten, aber vielleicht letzten Mal, sich der Geistermaske entgegenzustellen.

Das deutsche Kinoplakat zum fünften Teil.
(© Paramount Pictures Germany GmbH)

„Scream“ ist der erste Film der Reihe, der nicht mehr unter der Regie von Wes Craven und nach einem Drehbuch oder der Obacht von Kevin Williamson entstehen konnte. Somit findet auch hinter der Kamera ein Generationenwechsel statt, den das Regie-Duo Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett, die vorab den fantastischen „Ready or Not – Auf die Plätze, fertig, tot“ („Ready or Not“, 2019) inszenierten, aber perfekt meistert. Interessant dürfte sein, dass sie sich inszenatorisch tatsächlich auf den Originalfilm zurückbesinnen. Dies wird nicht nur dadurch deutlich, dass sie für die End Credits denselben eigenwilligen Font nutzen, der regelrecht nach 90er-Jahre schreit (*no pun intended), sondern auch in einer gewissen rauen Inszenierung, der den Zuschauer daran erinnert, in welchen filmhistorischen Kontext die Veröffentlichung des ersten Teils anno 1996 stand und was es neben den bloßen Schaueffekten auszeichnete. Der Originalfilm war eine schnell produzierte Independent-Produktion und wurde vor allem von seinen Darstellern getragen. Neve Campbell, Courteney Cox, David Arquette und natürlich Matthew Lillard sind hierbei besonders hervorzuheben. Bettinelli-Olpin und Gillett beweisen beim Casting des fünften Teils ein ähnlich geschicktes Händchen wie Wes Craven anno 1996. Ein fast perfekter Cast tritt in Erscheinung, der in besonderen Momenten den Film weit über den Horrorstandard hebt. Hier sei auf eine emotionale Szene zwischen den beiden Schwestern Tara (Jenna Ortega) und Sam (Melissa Barrera) im Krankenhaus besonders hingewiesen, die die schauspielerischen Qualitäten der neuen Besetzung verdeutlicht. Die alten Helden spielen ihre Rollen hingegen gekonnt routiniert. Sie wissen, wer ihre Figuren sind, müssen diese nicht neu etablieren („I’m Sidney fuckin‘ Prescott. Of course I’m armed.“). Besonders Dewey (David Arquette), das Herz der Reihe, werden einige ikonische Momente gegeben, letztlich muss man aber auch festhalten, dass das Werk auch ohne die Präsenz der alten Darsteller hätte funktionieren können. Vielleicht sogar etwas besser. Denn abermals wirkt es beizeiten so, als ob besonders Sidney (Neve Campbell) in die Handlung gezwungen wird. Dies war auch schon beim Vorgänger „Scre4m“ der Fall. Sie ist eben nicht mehr im Fokus des Killers, auch wenn sie die Protagonistin der gesamten Reihe darstellt. Demnach müssen Situationen kreiert werden, an denen sie teilnehmen kann. Eine inhaltliche Herausforderung. Sidney muss dabei sein, aber ist ein Stück weit dazu gezwungen ein Beobachter zu bleiben, da die Handlung von einer neuen Generation getragen werden soll.

Bei der Darstellung der Story ist „Scream“ überraschend „intim“. Der Fokus der Handlung liegt tatsächlich in direkten Gesprächen und persönlichen Konfrontationen, die den doch recht großen Kreis an möglichen Opfern und Tätern umfasst. Selten bezieht der Film eine größere Außenwelt mit ein. Eine Art Kammerspiel mit wenigen Schauplätzen über die Kleinstadt Woodsboro verteilt. Alles dient einem gewissen Zweck und keine Szene wird verschenkt. „Scream“ ist fast schon perfekt getaktet. Wir bekommen nicht einmal die genauen Lebensumstände von Sidney Prescott mitgeteilt. Sie ist schlichtweg Teil der Welt. Eine Art von Mythologie, beispielsweise über Nachforschungen der alten Ereignisse, wird nicht wiederentdeckt, die alte Garde war nie draußen. Der Film verschenkt somit keine Minute an „unnötigen“ Details und gibt dem Zuschauer nur das, was er als Information für die Handlung wirklich wissen muss. Somit erfahren wir diesmal auch kaum etwas darüber, wie das erneute Auftauchen von Ghostface sich auf die Community auswirkt. Die Polizei als auch die Medien tauchen nur noch sporadisch am Rande auf. Selbst bedeutende Nebenfiguren – und seien es nur die Eltern von Tara und Sam – finden lediglich Erwähnung. Sie erfüllen damit nur einen Zweck, um gewisse Settings glaubwürdig zu generieren und den jugendlichen Figuren größtmögliche Unabhängigkeit zu verschaffen. In dieser Konzentration liegt aber eine gewisse Ehrlichkeit, da sich „Scream“ somit vollends auf die Figuren und das „Whosdunnit?“-Spiel (oder hier: „Whosdoingit?“-Spiel) konzentriert und sich kaum von Nebensächlichkeiten ablenken lässt. Vielleicht mag dies aber auch tatsächlich im Wandel der Medienlandschaft und der Gesellschaft zurückzuführen sein. Die „Scream“-Reihe referenzierte diese stets. Die sozialen Treffpunkte, die sich außerhalb der eigenen vier Wände befinden, sind mittlerweile rar gesät. „Scream“ scheint dies vielleicht auch nur anzuerkennen.

Alter Überlebender trifft auf (vielleicht!) zukünftige Überlebende.
(© Paramount Pictures Germany GmbH)

Natürlich ist sich das neue Werk bewusst, dass es den nunmehr fünften Film einer ganzen Reihe darstellt. Und so steckt es voller Referenzen als auch parodistischer Einlagen auf das gesamte Genre, ihrer Macher, aber eben auch die Welt von Woodsboro an sich. Dies erwartet man zwar in gewisser Hinsicht und es gehört nun einmal zum Kern der Reihe, kann es aber auch durchaus kritisieren, denn das einzige inhaltliche Update besteht letztlich darin, dass der Film und dessen Charaktere sich darüber bewusst sind, dass sie nicht mehr nur den Regeln eines Remakes unterworfen sind, sondern denen eines Reboots verpackt als Legacy-Sequel. Dies sind die Werke, die vom Konzept eine Welt nicht nur einfach mit einer weiteren Fortsetzung erweitern, sondern gleichzeitig relativ präzise, mit wenigen, aber prägnanten Variationen einen Neustart hinlegen wollen. „Scre4m“ versuchte dieses Phänomen bereits zu honorieren, weswegen der neue Film im Kontext der Filmreihe teilweise etwas redundant wirkt. „Scre4m“ und „Scream“ ähneln sich vom Konzept her stark. Der Unterschied zwischen einem klassischen Remake und den aktuellen Legacy-Sequels sind letztlich eben vor allem im Detail zu finden. Leichte Variationen derselben Geschichte, die allerdings für weitere Sequels große Unterschiede machen können. Demnach unterwirft sich „Scream“ auch vollends der Exzentrik bestimmter Legacy-Sequels, indem es sich und eine mögliche Zukunft mit einem der sogenannten Legacy-Charaktere familiär verknüpft. In „Ghostbusters: Legacy“ („Ghostbusters: Afterlife“, 2021) hatte Egon Spengler (Harold Ramis) plötzlich eine Tochter, in „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ („Star Wars: The Force Awakens“, 2015) durfte der Nachwuchs von Han Solo (Harrison Ford) ran. „Scream“ folgt nicht nur diesem Trend, sondern scheint wohl auch eine Plattform für weitere Fortsetzungen aufzubauen, die sich (vielleicht) trauen werden, die Filmreihe in eine neue Richtung zu pushen. Der neuste Schrei wird somit bei Erfolg sicherlich nicht der letzte sein.

Wir kennen es: Ghostface will immer durch die Vordertür.
(© Paramount Pictures Germany GmbH)

„Scream“ versteht es abermals in bestimmten Momenten auf fast brillante Art und Weise die ewige Redundanz des eigenen Genres parodistisch zu zelebrieren, um wiederum geschickt neue mutige Ideen einzustreuen. Stilsicher, zeitweise überraschend brutal und inhaltlich konsequent, honoriert das Regie-Duo Bettinelli-Olpin und Gillett damit nicht nur das Schaffen von Craven, sondern lenkt hierbei die Filmreihe bei einer möglichen Fortführung in eine ganz neue Richtung, die sie vielleicht gar vom klassischen Setting endgültig befreien könnte. Damit stellt „Scream“ das perfekte Legacy-Sequel dar und ist sich dessen natürlich bewusst (in der englischen Originalfassung fällt sogar der Begriff „Legacy Sequel“). „Scream – Schrei!“ (1996) war das Original, „Scream 2“ (1997) die Fortsetzung, „Scream 3“ (2000) das Ende einer Trilogie, „Scre4m“ (2011) das Remake und „Scream“ (2022) eben das Reboot getarnt als Legacy-Sequel. Wenig soll neu sein, lediglich variieren, aber das, was letztlich neu ist, ist im Kontext der Reihe und mit Blick auf einen möglichen sechsten Teil fast schon revolutionär. Ohne spoilern zu wollen: eine rückwärtsgewandte Entwicklung würde stattfinden und aus Wes Cravens „Freddy’s New Nightmare“ würde in diesem Kontext dann „Nightmare – Mörderische Träume“ werden. Ob die Fans es annehmen werden, bleibt abzuwarten. Wenn nicht, so hat man immer noch die Option, die Welt von Ghostface wie in den fiktiven In-Universe-Filmen von „Stab“ fortzuführen und jegliche Innovation auf reine Schauwerte zu reduzieren. Beide Varianten wären dann wohl jeweils der finale Meta-Gag schlechthin.

Markus Haage

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Über Markus Haage 2284 Artikel
Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!