Nun geht es Knall auf Fall: Vergingen zwischen dem vierten und fünften Teil noch elf Jahre, kehrt Ghostface im nunmehr sechsten Teil der „Scream“-Saga nicht nur nach bereits weniger als vierzehn Monaten zurück, sondern jagt seine Opfer nun auch am Big Apple.
Offizielle Synopsis: Neue Stadt, neue Regeln: Im neuesten Teil des legendären Horror-Franchise lassen die vier Überlebenden der jüngsten Mordserie des berüchtigten Ghostface-Killers ihre Heimatstadt Woodsboro hinter sich, um in New York ein neues Kapitel aufzuschlagen. Doch zu ihrem Entsetzen gibt es kein Entrinnen vor der Vergangenheit. Ghostface ist fest entschlossen, sich ein besonders blutiges Stück aus dem Big Apple zu schneiden.
Der erste Teil der Scream-Reihe darf durchaus als revolutionär bezeichnet werden. Weniger als zwei Jahre nachdem Wes Craven mit „Freddy’s New Nightmare“ („Wes Craven’s New Nightmare“, 1994) an den Kinokassen enttäuschte und zumindest kommerziell den absolut finalen Sargnagel in das Subgenre des Slasherfilms hämmerte, kehrte dieses bereits mit „Scream – Schrei!“ im Sommer 1996 fulminant zurück. Wohlgemerkt unter der Regie von Wes Craven – theatralisch formuliert somit Totengräber und Reanimator in Personalunion –, aber aus der Feder von Kevin Williamson, der mit Anfang 30 seine künstlerische Sturm-und-Drang-Zeit erleben durfte und nicht nur ein Subgenre, sondern im Grunde auch das Horrorgenre bei der Masse wieder popularisierte. Für Williamson folgten als Autor, Produzent und Regisseur Werke wie „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ („I Know What You Did Last Summer“, 1997), „Halloween H20“ („Halloween H20: Twenty Years Later“, 1998), „The Faculty – Trau keinem Lehrer!“ („The Faculty“, 1998) oder auch „Tötet Mrs. Tingle!“ („Teaching Mrs. Tingle“, 1999), für Wes Craven begann ein kreativer „dritter Frühling“. Er konnte im Gegensatz zu anderen Genrefilmemachern der 80er seine Karriere nicht nur in die 1990er-, sondern dank des Erfolgs von „Scream – Schrei!“ auch in die 2000er-Jahre „retten“. Sein letztes Werk als Regisseur sollte gar „Scream 4“ (2011) darstellen. Bereits im Kern ein selbstbewusstes Remake des Originalfilms. Auch wenn die Kritik mit dem vierten Film haderte, genießt das Werk unter den Fans der Reihe mittlerweile ein hohes Ansehen und wird als bester Film nach dem Original gewertet. Mit dem Tod Cravens war die Reihe aber natürlich nicht beendet. Es bedurfte nur einer neuen Generation, um das Grauen nach Woodsboro zurückkehren zu lassen …
Mit „Scream“ (2022) konnte das Regie-Duo Matt Batinelli-Olpin und Tyler Gillett nicht nur beim Publikum, sondern auch bei den Kritikern einen Erfolg hinlegen. Und dies, obwohl sie das Scream-Universum auf teils drastische Weise erweiterten. „Scream – Schrei!“ war zwar tief in die Mythologie des 80er-Slasherfilms verwoben, aber stets in der Realität verhaftet. Mit dem ersten Legacy-Sequel, welches Reboot und Sequel in einem darstellte, begab man sich nun auf eine neue, paranormal anmutende Ebene und brachte mit Billy Loomis (Skeet Ulrich) gar den toten Killer aus dem ersten Teil zurück. Zumindest sprichwörtlich im Geiste. Ob rational zu erklärende Wahnvorstellung oder übernatürliche Erscheinung, ließ das Werk natürlich offen; für die Reihe aber dennoch ein mutiger Schritt, der mit dem vorliegenden sechsten Teil erneut aufgegriffen wird. So viel kann sicherlich verraten werden. Dennoch sollte man als Zuschauer keine weiteren, allzu großen Innovationen erwarten. „Scream VI“ (2023), nunmehr der sechste Teil der Reihe, versteht sich als Fortsetzung eines Legacy-Sequels; somit eines Neuanfangs, der tief mit der Mythologie der vorangegangenen Werke verwurzelt ist und ist sich bewusst, dass man jetzt durch pure Schauwerte glänzen kann. Die Verlagerung der Storyline von der Kleinstadt Woodsboro in die Welt-Metropole New York City ergibt demnach nur Sinn. Die totale Eskalation des Bekannten wird zum Konzept. Alles wird größer, schneller, … aber auch besser?
Das Scream-Franchise hat Woodsboro schon einmal verlassen. Bereits im zweiten Teil ging es ins College und im dritten Film nach Los Angeles. Nun dient New York City als Kulisse. Oder soll es zumindest. Vom Big Apple bekommt man nämlich überraschend wenig zu sehen. Die Haupthandlung konzentriert sich auf unerwartet wenige Schauplätze – leider kein Finale am Times Square – und nutzt die Umgebung Manhattans kaum. Demnach hätte der sechste Teil, mit Ausnahme weniger Studioaufnahmen und Establishing Shots, auch an einem vollkommen anderen Ort spielen können. Schade, aber in gewisser Hinsicht kann man dies vielleicht sogar als eine Art von Hommage verklären. Man denke hierbei nur an andere Genre-Vertreter wie etwa „Freitag der 13. Teil VIII – Todesfalle Manhattan“ („Friday the 13th Part VIII: Jason Takes Manhattan“, 1989) oder „Maniac Cop 3“ („Maniac Cop III: Badge of Silence“, 1992), die den Big Apple als Aufhänger groß bewarben, aber mit Ausnahme einer einzigen (schnell und illegal gedrehten) Szene nicht einmal vor Ort drehten (für den achten Teil der „Freitag der 13.“-Serie stand übrigens Vancouver für Manhattan Pate; der Maniac Cop terrorisierte wiederum Los Angeles). Ähnliches kann man von „Scream VI“ auch behaupten. Allerdings, und so fair muss man sein, stand die Produktion auch unter einem enormen Zeitdruck. Wie eingangs erwähnt, erscheint der sechste Teil weniger als vierzehn Monate nach dem Reboot. Es muss demnach abgeliefert werden. Und zwar im Akkord. Das sind die Regeln des Genres und „Scream VI“ hält diese natürlich nicht nur ein, sondern zelebriert sie regelrecht.
Die Handlung wird fünf Jahre nach den Ereignissen des fünften Teils angesetzt. Die beiden Schwestern Tara (Jenna Ortega) und Sam (Melissa Barrera) besuchen nun die Universität und versuchen dem Grauen von Woodsboro zu entfliehen. Natürlich gelingt dies nicht; ein neuer Ghostface-Killer schleicht umher. Um wem es sich hierbei handelt, wird selbstredend erst zum Ende offenbart – dies wohlgemerkt auf eine absurd theatralische Weise –, bis dahin müssen alle Protagonisten leiden und einige natürlich sterben. Selbstredend auf spektakuläre Wiese; der nunmehr sechste Teil versucht zwar nicht ein Splatterfest zu sein, weiß aber bei seinen blutigen Schauwerten auf kreative Art zu unterhalten. Wem dies genügt, der kann bei „Scream VI“ beruhigt die Kinokarte lösen oder später die Blu-ray kaufen, sollte allerdings die Hoffnung auf eine drastische Innovation aufgeben.
„Scream VI“ zelebriert das Altbewährte, wirft es in einem vollkommen neuen Kontext zusammen und ist sich den daraus folgenden Absurditäten vollends bewusst. Die Offenbarung des Killers macht dies exemplarisch deutlich. Auf eine fast schon extrem absurde (und vielleicht etwas an den Haaren herbeigezogene) Weise wird uns ein Mörder präsentiert, den niemand wahrhaftig hätte voraussagen können, weil keine natürliche Verbindung zu den etablierten Figuren existiert. Wie beim dritten Teil werden Beziehungen rückwirkend konstruiert, die vorab nie vorhanden oder geplant waren, und von den Schauspielern (insbesondere den Antagonisten) hysterisch vorgeführt werden. Natürlich gehört auch dies zum Konzept, allerdings werden selbst für das Scream-Franchise gewisse Grenzen überschritten. Die Hommage wird zum Höhepunkt zumindest gefühlt zur Parodie. Verfolgt man diese Route weiter, so bleibt für die Filmreihe wohl tatsächlich nur noch der Weltraum als finaler Handlungsort übrig; so wie es ein zum Kinostart kursierendes Mem ankündigte. Denn inhaltlich hat man nun tatsächlich alle absurden Verknüpfungen und alle möglichen Referenzen abgearbeitet. Inklusive des ewigen Recyclings bekannter Charaktere.
Neben dem neuen Cast tauchen natürlich auch weiterhin sogenannte Legacy-Charaktere auf. Das Fehlen von Sidney Prescott (Neve Campbell) wird in einem Nebensatz weg erklärt, Dewey (David Arquette) musste bereits im Vorgänger die Bühne verlassen, somit bleibt natürlich nur noch die Journalistin Gale Weathers übrig, die abermals von Courtney Cox gespielt wird, zur eigentlichen Handlung allerdings kaum beiträgt. Man hätte auf die Figur tatsächlich vollends verzichten und dadurch Zeit und unnötige inhaltliche Umwege sparen können. Denn mit einer Laufzeit von 123 Minuten stellt „Scream VI“ das längste Kapitel der Reihe dar, ohne die Welt allerdings nennenswert zu erweitern. Der sechste Film lebt wie kaum ein anderer Teil von der ewigen Referenz, bringt mit Hayden Panettiere als Kirby Reed gar eine Figur aus dem vierten Teil (2011) zurück, mit der wohl niemand wirklich gerechnet hat, und bleibt am Ende aber am gleichen Punkt wie der Vorgänger stehen. Die eigentlich interessanteste und mutigste Entwicklung des Vorgängers, das Franchise auf ein fast schon paranormale Ebene zu hieven, wird abermals auf den nächsten Film verschoben, wenn auch gleich zum Ende immerhin hart angeteast. Damit verpasst „Scream VI“ die Chance, die Beziehung zwischen den Schwestern Tara und Sam bedeutsam zu vertiefen. Es steht dann eben trotz der enormen Lauflänge nicht genug Raum zur Verfügung, obwohl ihre Verbindung der zentrale Konflikt der „neuen“ Reihe darstellen sollte. Ghostface ist letztlich „ersetzbar“, wie der Film selber auf beeindruckende Weise auflegt – jeder kann sich die Maske überstülpen –, aber die neue familiäre Verknüpfung der Hauptfiguren zu den Mördern des ersten Teils, ist es eben nicht. „Scream VI“ verliert hier etwas den Fokus und besinnt sich letztlich auf eine einfach gestrickte Slasher-Mär. Keine Überraschungen, trotz vieler konstruierter Twists.
„Scream VI“ weiß Genrefans zu unterhalten und zelebriert seine blutigen Schauwerte auf kreative Art, vergisst dabei aber das gelegte dramaturgische Fundament des Vorgängers nennenswert auszubauen. Der Film eskaliert stattdessen zwar (auf teils absurde Weise), setzt aber (ähnlich wie Teil 4) im Kontext der Reihe keine nennenswerten neuen Impulse. Sicherlich einkalkuliert. Der siebte Teil befindet sich bekanntlich bereits in Vorproduktion und wird im besten Fall das Franchise auch dramaturgisch erweitern. Somit bleibt „Scream VI“ ein weiteres unterhaltsames Kapitel, aber eben nur ein Kapitel.
‐ Markus Haage
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