„In an urban society, everything connects. Each person's needs are fed by the skills of many others. Our lives are woven together in a fabric. But the connections that make society strong also make it vulnerable.“
1984 entstand eine TV-Produktion der BBC, die lediglich zweimal ausgestrahlt werden konnte. Einmal im Entstehungsjahr ’84 und dann erst wieder 1999. Zu groß war der Schock der Zuschauer, auf das was ihnen in „Threads“ präsentiert wurde. Ebenfalls eine DVD- und Video-Veröffentlichung folgte erst im Jahre 2001 in einer sehr geringen Auflage. Ein deutsches Release steht bis heute noch aus und wird wohl auch leider nie erscheinen.
„Threads“ beschreibt die Auswirkungen eines Atomkriegs auf die Bevölkerung der englischen Stadt Sheffield. Hierbei versucht er so realistisch wie möglich zu sein. Unterstützt wird dieses u.a. durch Stilmittel der Dokumentation (Texteinblendungen, emotionsloser Erzähler). Der Film beginnt dort, wo „The Day After“, quasi das amerikanische Pendant, aufhört. Ich habe mich entschieden, den Inhalt des Films ähnlich neutral wiederzugeben, weil es zum Einen das wohl wichtigste Stilmittel des Films selber ist, zum Anderen an den simplen, aber schrecklichen Fakten auch gar nichts zu beschönigen oder zu erweitern gibt.
Wir schreiben das Jahr 1984. Die rote Armee ist im Iran einmarschiert. Als Reaktion hierauf versucht die NATO, die Sowjetunion mit einem Ultimatum unter Druck zu setzen. Als das Ultimatum unbeantwortet verstrichen ist, greifen NATO-Streitkräfte eine sowjetische Basis an. Die Sowjetunion reagiert daraufhin mit dem Abschuss einer Atomrakete. Der eingeschränkte Schlagabtausch zwischen den beiden Großmächten ist zunächst beendet. Die Zivilbevölkerung bekommt davon nicht viel mit, da eine landesweite Nachrichtensperre eingesetzt wurde, dennoch bereitet die britische Regierung alles für einen Atomkrieg im eigenen Land vor. Telefonanschlüsse werden gesperrt (um das Telefonnetz nicht zu überlasten), die zivile Luftfahrt wird eingestellt, in Krankenhäusern werden nur noch Notfälle behandelt. Die Bevölkerung versucht sich mit Hamsterkäufen einzudecken. Kunstwerke werden in Bunkern verstaut. Die Autobahnen werden für den Zivilverkehr abgeriegelt. Es kommt zu ersten Streiks, die ein Ende des Krieges fordern, doch diejenigen, die sich offen gegen den Kriegskurs richten, werden inhaftiert oder als Staatsfeinde mundtot gemacht. Obwohl die Lage sich an der Kriegsfront zu entspannen scheint, kommt es zum nuklearen Schlagabtausch auf dem Boden der Kriegsparteien.
Groß-Britannien wird von mehreren Atombomben getroffen, die gezielt auf militärische, industrielle und zivile Orte abgeschossen wurden. Ballungsräume, Militärstützpunkte, Regierungseinrichtungen, Industriestätten werden vollkommen vernichtet. Durch den elektromagnetischen Blitz, den eine Atombombenexplosion als einen der geringsten Nebeneffekten mit sich bringt, sind sämtliche elektrische Geräte für immer unbrauchbar geworden. Dieser ersten Angriffswelle fallen im nuklearen Feuersturm zirka 2 – 9 Millionen Menschen zum Opfer.
Anderthalb Stunden nach den Explosionen setzt der Fall Out (radioaktiver Niederschlag) ein. Durch den Druck der Eplosionswellen sind Millionen von Dächern abgedeckt oder Gebäude vollkommen zerstört wurden. Die wenigen Menschen, die in den Abwurfgebeiten (je ein Gebiet von einem Durchmesser von mindestens 35 Meilen) überlebt haben, sind dem Fall Out nun schutzlos ausgesetzt.
Der Film erzählt nun die Geschichte der jungen Ruth, hochschwanger, die zusammen mit ihren Eltern im Keller ihres Haus den Angriff relativ unbeschadet überstanden hat. Nach einigen Tagen entscheidet Ruth sich auf die Suche nach ihrem Verlobten Jimmy zu machen, der in Sheffield zum Zeitpunkt der Explosion gearbeitet hat. In der Zeit ihrer Abwesenheit werden Ruths Eltern von Plünderern ermordet. Die Suche nach ihrem Verlobten verläuft ergebnislos, dennoch trifft sie auf Bob, einem Arbeitskollegen von Jimmy. Da es weder Nahrung noch frisches Wasser gibt, entscheiden sie sich, ein verendetes Schaf zu schlachten. Bob wird später an der Strahlenkrankheit sterben.
Knapp 10 Tage nach den Explosionen setzt der nukleare Winter ein. Die Temperaturen fallen um bis zu 25 Grad, da der aufgewirbelte Dreck die Sonne verdunkelt. Die Ernte verendet, die Vegetation geht ein.
Drei Wochen nach dem Atomschlägen sind zirka 10 bis 20 Millionen Menschen gestorben, entweder direkt bei den Angriffen oder durch die radioaktive Strahlung. Die meisten Leichen verwesen dort, wo sie gestorben sind. Kräfte zur Beerdigung fehlen, Benzin zum Verbrennen der Leichen ist knapp und auch zu kostbar geworden. Es kommt zwangsläufig zum Ausbrechen von Epidemien, deren Eindämmung nicht einmal ansatzweise möglich ist. Die Krankenhäuser sind überfüllt und können die Menschen nicht mehr versorgen und behandeln. Die meisten Medikamente sind längst verbraucht. Ohne Elektrizität und fließendes Wasser kann der beste Arzt nichts mehr ausrichten. Die Regierung fordert die Menschen zum Wiederaufbau auf. Diejenigen, denen es körperlich möglich ist, mitzuhelfen, werden bevorzugt mit Lebensmitteln (in der Regel ein Stück Brot und eine simple Suppe) versorgt. Plünderer werden ohne Warnung an Ort und Stelle exekutiert. Die gebunkerten Nahrungsvorräte sind schnell erschöpft. Es kommt zu Aufständen, die von den übrig gebliebenen Polizei- und Armeekräften mit Waffengewalt niedergeschlagen werden.
Nach vier Monaten beträgt die Zahl der Toten bis zu 38 Millionen.
Nach knapp einem Jahr ist die dicke Staub- und Dreckschicht gewichen. Der nukleare Winter ist überstanden. Aufgrund der massiven Atombombeneinschläge ist jedoch die Ozonschicht stark angegriffen und wird erst nach Jahrzehnten auf ein halbwegs normales Niveau zurückkehren. Die Menschen sind dem UV-Licht schutzlos ausgesetzt. Das Hautkrebsrisiko ist enorm. Hauptdarstellerin Ruth hat in der Zwischenzeit ein gesundes Kind zur Welt gebracht.
Acht Jahre nach den Atombombenexplosionen ist die Bevölkerung Groß-Britanniens auf ein mittelalterliches Niveau gesunken. Bevölkerungsstand: zirka 5 – 8 Millionen Menschen (von ehemals über 60 Millionen). Ruth und ihre Tochter müssen sich von toten Ratten ernähren. Um eine größere Menge Ratten zu bekommen, schläft sie mit einem älteren Mann.
Nach 10 Jahren stirbt Ruth, natürlich unbehandelt, an Leukämie. Ihre Tochter muss nun allein durch die post-nukleare Welt ziehen. Da sie nach den Einschlägen geboren ist und somit nie eine Schule oder einen Kindergarten besucht hat und die Zahl der nicht geschockten Menschen extrem gering ist, hat sie nie richtig sprechen gelernt, wie der Großteil der Jugendlichen. Nur ein paar unverständliche Sätze beherrscht sie. In der Zwischenzeit wurde wieder ein Stromnetz eingerichtet, welches aber sehr schwach und auch nur in einigen Gebieten vorhanden ist. Da aber der Großteil aller elektrischen Geräten durch den elektromagnetischen Blitz zerstört sind, müssen vielerorts Dampfmaschinen eingesetzt werden. An eine industrielle Herstellung ist noch lange nicht zu denken. Hauptnahrungsquelle ist der Ackerbau. Die Erde ist zwar immer noch stark verseucht, dennoch ist die Chance an Hunger zu sterben größer als an radioaktiver Versuchung, so dass dieses Risiko eingegangen werden muss. Ruths Tochter verdient sich etwas Nahrung indem sie kaputte Kleidung repariert.
13 Jahre nach dem Krieg. Eine Militärdiktatur herrscht und versucht die gesellschaftlichen Strukturen, auch mit Gewalt, wieder herzustellen. Die Städte sind immer noch vollkommen zerstört. Es wird Jahrzehnte dauern, sie auch nur annähernd auf Vorkriegsniveau aufzubauen. Da 90% der Bevölkerung allerdings gestorben ist und die Lebenserwartung generell sehr gering ist, wird dieses auch nicht so schnell benötigt werden. Ruths Tochter bringt aufgrund einer Vergewaltigung ein Kind auf die Welt. Es ist deformiert und nicht lebensfähig. Hier endet der Film.
„Threads“ ist ein grausamer Film, der die brutale Realität eines nuklearen Angriff zeigt. Es wird gar nichts unnötig dramatisiert. Wenn eine Vergewaltigung stattfindet, dann findet sie statt. Wenn ein Mensch aufgrund der radioaktiven Verseuchung, sich buchstäblich die Lunge aus dem Leib kotzt, dann ist dem so. Wenn ein weiterer Mensch tot umfällt, in einer Welt in dem der tägliche, grausame Tod Normalität ist, dann ist dem eben auch so. So einfach und grausam zugleich. Mit der Explosion der Bomben brechen die gesellschaftlichen Strukturen völlig zusammen. Man nimmt sich was man braucht. Es gibt keine Kontrolle mehr. Keine Rücksicht. Keine Verpflichtungen, es geht um das nackte Überlebenden. „Threads“ versucht nicht nur die direkten Auswirkungen einer Atombombenexplosion darzulegen (wie bei „The Day After“), sondern auch deren langfristigen Auswirkungen, die nicht erfunden sind, sondern mehr als nur Realität hätten werden können. Man könnte zu diesem Film noch viel mehr schreiben, aber es ist enorm schwer dieses zu tun, den selten zuvor stand ein Film in seiner grausamen Einfachheit so sehr für sich selber. Anschauen ist Pflichtprogramm.
‐ Markus Haage