Vor allem männliche Fans, die die Figur Rey in der aktuellen Star Wars-Trilogie für ihre teils schier unglaublichen Fähigkeiten im Kontext der Saga kritisieren, werden schnell als Sexisten öffentlich diffamiert, obwohl sie oftmals weibliche Heroen wie Sarah Connor aus „The Terminator“ oder Ellen Ripley aus den „Alien“-Filmen feiern, und es wird als eine Art Totschlag-Argument entgegengesetzt, dass Rey letztlich nur die weibliche Version vom jungen Luke Skywalker sei. In diesem Missverständnis liegt wohl ein massives Grundproblem der neuen Fortsetzungs-Trilogie begraben, die vor allem die alten Helden, sei es Luke, Leia oder Han, nie wirklich verstanden hat. Die Macher der neuen Filme scheinen vor allem die Figur Luke Skywalker, ihren Reiz und ihre Bedeutung für die Fans, vollkommen unterbewertet oder fehlinterpretiert zu haben. Es folgen ein paar Gedanken zur inhaltlichen Ausrichtung der „finalen“ Star Wars-Trilogie.
Luke Skywalker (Mark Hamill) stellte nie einen übernatürlichen Superhelden dar, der allen Widrigkeiten strotzen konnte. Er war zeitweise gar eine kleine „Heulsuse“, insbesondere im ersten Film auf Tatooine, die unglücklich mit ihrem eigenen Leben war. Immer am Meckern, nie zufriedenzustellen. In der Originaltrilogie verlor er öfters, als er gewann. „He failed his way to the top“, würde der Amerikaner sagen. Obi-Wan Kenobi (Alec Guiness) sah sich sogar dazu gezwungen, sich für ihn in „Krieg der Sterne“ („Star Wars“, 1977) zu opfern. Hätten Han Solo (Harrison Ford) und Chewbacca (Peter Mayhew) die Tie-Fighter beim Todesstern nicht weggeschossen, dann hätte Luke seinen One-in-a-Million-Shot niemals vollführen können, bei dem ihm letztlich auch noch Obi-Wan „spirituell“ zur Seite stand („Nutze die Macht, Luke!“). Abgesehen von der Tatsache, dass der ganze Angriff auf den ersten Todesstern eine reine Verzweiflungstat der Rebellen nach dem Prinzip Hoffnung war. Man hatte keine andere Wahl.
In „Das Imperium schlägt zurück“ („The Empire strikes back“, 1980) muss Luke von Han zur Eröffnung des Films gerettet werden, sonst wäre er auf Hoth wohl erfroren. Wohlgemerkt, nachdem Luke von einem Wampa geschnappt und als Fertig-Nahrung in seiner Eishöhle gefangen gehalten wurde. Yoda (Frank Oz) will Luke anfangs nicht einmal ausbilden und sieht ihn ihm nicht den Erlöser. Luke sei zu alt und nicht bereit. Demnach versagt er beim Training mit Yoda mehrmals und reist auch gegen den Willen Obi-Wans und gegen den Ratschlag von Yoda nach Bespin. Selbst dann schiebt Yoda Luke noch zur Seite und verweist auf eine andere Hoffnung, nämlich Lukes Schwester. Auf Bespin erlebt Luke durch Vader eine zerschmetternde Niederlage. Hierbei verliert er sogar seine Hand. Von da an ist Luke auch körperlich „beschädigt“. Nicht mehr perfekt. Was er eh nie gewesen ist. Luke war weder durchtrainiert, noch besonders gutaussehend, sondern klein und schmächtig. Als Prinzessin Leia (Carrie Fisher) ihn das erste Mal sah, machte sich schon in „Krieg der Sterne“ über ihn lustig („So klein und schon bei den Sturmtruppen?“). Das ist kurz bevor Luke im Müllschacht von einem Alien unter Wasser gezogen und fast zu Tode gewürgt wird. Auch hier muss Han ihn retten, sonst wäre die Saga in einem Müllschacht wohl bereits beendet gewesen. Am Ende von „Das Imperium schlägt zurück“ hockt Luke heulend und verzweifelt auf einer Antenne unter Bespin, kann sich kaum noch halten und wird von Leia und Lando Calrissian (Billy Dee Williams) abermals in allerletzter Sekunde gerettet.
In „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ („The Return of the Jedi“, 1983) hilft ihn sein Vater (David Prowse) gegen den Imperator (Ian McDiarmid), sonst wäre er an Palpatines Machtblitzen auf dem zweiten Todesstern gestorben. Aber selbst in diesem Moment gibt er nicht auf. Selbst Sekunden vor seinem sicheren Tod bleibt Luke sich treu und vertraut auf Vaders wahres Ich, Anakin Skywalker. Was letztlich Anakin dazu bewegt, als „Auserwählter“ die Sith zu vernichten. Nämlich Imperator Palpatine, Darth Sidious, und sich selber, Darth Vader. Den Lehrer und den Schüler.
Luke war nie der Auserwählte und hat nie wirklich etwas im klassischen Sinne gewonnen, aber immer alle Räder in Bewegung gesetzt und das Team zusammen gehalten. Ohne ihn wäre es nie zum Sieg über das Imperium und die Sith gekommen. Er war bereit sich zu opfern und alles zu riskieren, auch wenn die Lage ausweglos erschien. Er gab nie auf, auch wenn er immer der „Zweite“ oder die zweite Wahl war. Erst nach „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ war Luke ein Jedi. Die Jedi kehren am Ende, in den letzten Minuten von „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“, zurück, nicht am Anfang des Films. Dies wird im Film sogar gesagt. Lukes finale Prüfung steht ihm gegen den Imperator noch bevor. Deswegen hatten viele Fans darauf gewartet, Luke in den neuen Filmen endlich mal als vollwertigen Jedi oder gar Jedi-Meister zu sehen. Luke und die Fans hätten es einfach verdient. Stattdessen versteckt sich Luke Skywalker bereits in „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ („Star Wars: The Forece Awkens“, 2015) auf einem fernen Planeten vor dem Teenager Kylo Ren (Adam Driver), der letztlich keine große Bedrohung darstellte und in der neunten Episode selbst vom Imperator einfach in eine Schlucht geschnippst wird, um wohl die Handlung mit Rey nicht weiter zu stören..
Mark Hamill verstand dies wohl und kritisierte seinen „neuen“ Charakter in „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ und „Star Wars: Die letzten Jedi“ („Star Wars: The Last Jedi“, 2017) massiv. Seit Jahrzehnten besucht er Conventions. Dies geschah bereits zu einem Zeitpunkt, als diese noch als Fan-Treffen von komischen und kauzigen Nerds galten. Schon „Die Simpsons“ machten sich in der Episode „Mayored to the Mob“ aus dem Jahre 1998 auf liebevolle Weise darüber lustig. Hamill sprach sich hier selber. Durch diese frühen Fan-Kontakte wusste Hamill wohl, was die Fans in Luke sahen und warum die Figur tatsächlich so populär war.
Der junge Luke steht im totalen Kontrast zur immer taffen, fehlerfreien und stets gut aussehenden Rey Palpatine (Daisy Ridley). Episode VII und VIII spielen innerhalb von 72 Stunden. In weniger als vier Tagen ist Rey von einer Müllsammlerin auf einem unbedeutenden Planeten ohne Ausbildung oder Kenntnis zu eine der mächtigsten Machtnutzerinnen und besten Pilotinnen aller Zeiten geworden. Sie trickst gar Han Solo bei der Reparatur des Millennium Falcons aus und besiegt einen Sith-Schüler, der vorab über Jahre hinweg von Luke Skywalker persönlich ausgebildet wurde, ohne jemals vorher überhaupt ein Lichtschwert in der Hand gehalten zu haben. Als Luke das erste Mal in Obi-Wans Hütte ein Lichtschwert in der Hand hielt, zielte er damit ahnungslos auf seinen Kopf. Warum auch immer. Im neuen Film mit dem irritierenden Titel „Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers“ („Star Wars: Rise of Skywalker“, 2019), in dem kein Skywalker aufsteigt oder überhaupt eine bedeutende Rolle spielt, ist es gar Rey, die den immer noch nicht toten Imperator Palpatine endgültig niederstreckt. Selbst Luke war dazu nicht in der Lage. Dadurch ist Anakin Skywalker nicht mehr der Auserwählte, da er Palpatine und die Sith nie besiegt hat. Lukes Schaffen und Anakins Leidensweg, als auch ihrer Weggefährten, werden durch Super-Rey entwertet.
Eine ähnliche Entwertung findet auch bei den anderen klassischen Charakteren statt. Der ewige Einzelgänger Han Solo versagt dabei, seine Familie zu beschützen oder überhaupt zusammenzuhalten, sodass er sich entscheidet, Zigaretten zu holen, ähm, mit seinem besten Kumpel Chewie wieder durch das All zu reisen. Noch schlimmer: er wird sogar von seinem eigenen und einzigen Sohn ermordet. Was für eine Tragik für den einst zynischen Han SOLO, dessen gesamter Story-Arc in der Originaltrilogie darin bestand, Freunde und eine Familie zu finden. Prinzessin Leia versagt dabei, die Neue Republik anzuführen und zu schützen und sieht sich dazu gezwungen einen kruden Widerstand im Geheimen zu gründen. Und Luke? Er versagt dabei einen Jedi auszubilden und versteckt sich auf einem einsamen Planeten, nachdem er einst von einem einsamen Planeten geflohen war, auf dem er versteckt wurde. Alle klassischen Charaktere versagen am Ende ihres Lebens, auch wenn Johnsons „Die letzten Jedi“ bezüglich Luke und den Auswirkungen seines Auftritts auf Crait noch eine gewisse versöhnliche Kurve kriegt: die Kindersklaven, die das Finale um Lukes Opfer nachspielen und dadurch „neue Hoffnung“, eben „a new hope“, schöpfen. Diese wunderschöne Steilvorlage von Johnson wird von Episode IX allerdings auf irritierende Weise ignoriert, womit der einzige wirkliche Sieg der alten Charaktere in der neuen Saga und vor allem ihr Triumph in der Originaltrilogie mit dem neuen Film endgültig entwertet wird. Sie haben den Imperator nie besiegt. Das Imperium war nur eines von vielen Werkzeugen auf dem langen Weg zur endgültigen Macht des Sith-Ordens, der auf Exogal immer hinter allem stand. Auch Anakin Skywalker ist nicht mehr der Auserwählte. Seine Passion hat nur kurzfristig eine Hürde aus dem Weg geräumt. Imperium, Erste Ordnung, Letzte Ordnung? Egal. Todesstern? Zweiter Todesstern? Von mir aus auch Starkiller Base? Egal. Denn jetzt kann jeder einfache Sternenzerstörer, nicht einmal ein Super-Sternenzerstörer wie Vaders Executor, mit Todesstern-Waffen durch das Weltall düsen und wahllos ganze Planeten vernichten, obwohl drei Jahre zuvor mit „Rogue One: A Star Wars Story“ (2016) das exakte Gegenteil etabliert wurde. Im Grunde bereits mit „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“, wenn man die vielen kleinen, aber sehr klug eingesetzten Probleme beim Bau des Zweiten Todesstern berücksichtigt. Besonders „Der Aufstieg Skywalkers“ ist ein wandelnder Widerspruch. Aber eben noch drastischer: Der größte Triumph der Rebellion, das Herz der Saga, wird emotional und narrativ auf allen Ebenen auf ein Minimum reduziert.
Natürlich entwickeln Charaktere sich weiter. Niemand erwartet, dass der alte Luke oder Han identisch mit seinem früheren Ich sind. Dies wäre auch nicht wünschenswert, aber dieses sollte sich zumindest in ihnen und ihren Entscheidungen widerspiegeln. Hätte Han Solo es tatsächlich zugelassen, dass seine einzige Familie auseinander gerissen wird? Wäre er tatsächlich abgehauen und hätte Leia alleine gelassen? Wie uneins sich die neue Saga bezüglich ihrer Charaktere ist, merkt man auch bereits veröffentlichten Comicheften an, die als Kanon gelten, und in denen etabliert wird, dass Kylo Ren nicht wirklich vollends eigenverantwortlich für die Zerstörung der Jedi-Akademie war, sondern Snoke dahinter stand. Der große Retcon hat schon vor Veröffentlichung des finalen Films begonnen.
Luke war anfangs eine kleine „Heulsuse“, die von größeren Taten träumte und mit dem Leben auf dem Land stets unzufrieden war. Besonders im Originalfilm. Deswegen konnten wir Jungs uns mit ihm identifizieren. Niemand wollte wirklich Luke sein. Wir alle wollten Han Solo sein. Frauenheld, Schmuggler, Sprücheklopfer, der mit seinem besten Kumpel durch die Galaxis rast, Abenteuer erlebt und in Kneipen abhängt. Unabhängig, gut aussehend, charmant, witzig, wortgewandt. All das, was Luke nicht war. Eben zurückhaltend, untersetzt, schmächtig. Das wollten wir nicht sein, aber insgeheim wussten wir, dass wir es sind. Voller Fehler. Voller falscher Entscheidungen. Voller Selbstzweifel. Nie die erste Wahl. Nicht perfekt, aber niemals aufgebend und immer weitergehend. Egal, wie schlecht die Lage auch war, Selbstaufgabe war keine Option. Luke hat sich trotz aller Widrigkeiten und eigenen Unzulänglichkeiten allen Herausforderungen gestellt. Das machte Luke Skywalker aus (übrigens auch eine Figur wie Sarah Connor aus „The Terminator“). Luke war kein Superheld wie Rey Palpatine. Zu keinem Zeitpunkt. Er war wie wir, auch, wenn wir es nicht zugeben wollten. Ob Lucasfilm und Disney die Welt von „Star Wars“ und ihren Reiz für das Publikum jemals verstanden haben, muss nach der Sequel-Trilogy leider angezweifelt werden.
‐ Markus Haage
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