„Heiliges Bilderbuch, Batman, das ist einer der besten Comics, die ich je gelesen habe!“ – das hätte Robin alias Dick Grayson zu Batman gesagt, wäre „Watchmen – Die Wächter“ bereits 1966 erschienen. Aber erst 1986 erschien die erste Ausgabe dieser zwölfteiligen Miniserie, die ich einfach mal als Meisterwerk bezeichnen würde. Alan Moore, der sich zu dieser Zeit bereits einen Namen mit der Reihe „V for Vendetta“ gemacht hatte, versteht es Gesellschaftskritik in eine durchdachte Geschichte einzuflechten. Das vorliegende Ergebnis handelt zwar von maskierten Helden, ist aber weit vom Mainstream der knallbunten Unterwäsche-Superhelden entfernt, die sich seitenlang mit ihrer Erznemesis „Dark Dieter aus der Negativzone“ prügeln.
Illustrator der ganzen Chose ist der – wie auch Moore – aus Großbritannien stammende Dave Gibbons, dem es mit seinen Bildern gelingt die Handlung klar und strukturiert wiederzugeben. Die eigentlichen Artworks sind von Kolorist John Higgins dabei doch recht farbfroh gehalten (wobei es nicht im Ansatz so schlimm wie eine Spider-Man-Ausgabe aus den 70ern ist), während sich die „Black Freighter“-Nebengeschichte farblich etwas abhebt. Ansonsten keine Experimente: starre Standardpanels und klare Konturen der Figuren.
Die Handlung findet in einer Alternativrealität der 1980er Jahre in den USA statt, in denen der Vietnamkrieg von den USA gewonnen wurde und der gute alte Richard Nixon noch den Mister President mimen darf. Watergate ist also nie passiert und ein neues, natürlich von ihm eingeführtes Gesetz erlaubt ihm auch in Zukunft munter weiter zu regieren. Die Bedrohung des Kalten Krieges besteht zwar auch hier weiterhin, aber der Status Quo wird auf eine andere Art erhalten als wir es aus den Geschichtsbüchern kennen, denn dieses Szenario existiert eben weil es Superhelden gibt – und genau das macht für mich einen Großteil des Flairs aus. Wie genau die Superhelden die Welt verändert haben, möchte ich an dieser Stelle mal für mich behalten, um keinem das Lesevergnügen zu schmälern.
Fast alle Protagonisten sind aber nichts weiter als normale maskierte Menschen, oder auch kostümierte Abenteurer wie sie sich teilweise selbst im Comic betiteln. Also keine radioaktiven Bisse, auf der Erde lebende Götter, Gamma- oder gelbe Sonnenstrahlung, Zaubermacht, Symbionten, Urkräfte der Natur, kriegerische Amazonen oder Mutanten, sondern durchtrainierte und knallharte Männer und Frauen mit Masken und in Leggins. Nur Dr. Manhattan steht im krassen Gegensatz zu den restlichen Gestalten, deren Fähigkeiten wohl eher in der Turn-, Matheclub- oder Kampfsportecke einzuordnen wären.
Ein atomarer Strahlungsunfall verlieh ihm Kräfte, die eigentlich eher einem Gott ähneln. Teleportation, die Fähigkeit alles in Atome aufzulösen, seine Körpergröße beliebig verändern und sich selbst duplizieren, um gleichzeitig einen Dreier (jawohl… zwei Teilnehmer ist er selbst!) mit seiner Frau hinzulegen und im Nebenzimmer noch gemütlich zu arbeiten sind ein paar Beispiele. Während die erste Generation Heroen sich im Watchmen-Universum bereits Ende der 30er Jahre ihre Capes umwarf und die Heldentruppe Minutemen formte, kam die zweite Generation maskierter Abenteurer Ende der 50er Jahre auf. Sie versuchten ebenfalls sich zu einem Team zusammenzuschließen, die Crimebusters, wurden aber 1977 offiziell von der Regierung verboten. Im Gegensatz zur ersten Generation verfügen diese Superhelden über mehr technische Hilfsmittel und Gimmicks, die sogar jede Yps-Magazin-Beilage alt aussehen lassen würde.
Soviel zum eigentlichen Hintergrund und bevor sich nun der geneigte Leser fragt, ob denn überhaupt etwas in diesem alternativen 1985 passiert, schmeiße ich ein paar Handlungsmünzen in den spoilerfreien Klingelbeutel.
Der Comedian, ein Abenteurer aus der ersten Generation, wurde ganz offensichtlich ermordet und der noch immer aktive, aber „leicht“ durchgeknallte Rorschach versucht die Motive des Verbrechens aufzuklären. Da er der Meinung ist, jemand da draußen hätte es auf Maskierte abgesehen, beginnt er seine alten Kameraden, Nite Owl II, Silk Spectre II, Dr. Manhattan und Ozymandias aufzusuchen. Die hatten aber seit 1977 keine ordentliche Keilerei mit Kriminellen mehr erlebt und führen jetzt ein mehr oder minder normales Leben.
Hört sich simpel an – ist es aber nicht! Im Laufe der Handlung werden die Motive aller Beteiligten in Frage gestellt, ihre Vergangenheit und die Zusammenhänge genauer durchleuchtet, so dass sich Stück für Stück ein größeres Ganzes offenbart…. muahahahahahahahahaha! So wahnsinnig wie dieses Lachen ist auch das Ende, welches hier natürlich nicht preisgegeben wird.
Die Geschichte ist so voller Details (man beachte z. B. den Mann mit dem Schild vom Ende der Welt, die Elektroautos, die Uhren oder die Namensgebung) und Anspielungen (Nixon, Kennedy und Ford, die Ersatzsubkultur für Punks, Woodward und Bernstein oder C.R.E.E.P.), dass man das Teil nur schwer aus der Hand legen kann. Zusätzlich gibt es in jeder Ausgabe ein neues Leitmotiv, während der gesamte Plot von einer Frage bestimmt wird: „Wer wacht über die Wächter?“ vom römischen Satirendichter Juvenal. Alles hat also einen Zweck, selbst die Comicpiratengeschichte innerhalb des eigentlichen Comics, „Black Freighter“, erfüllt einen Sinn und erweitert die eigentliche Story noch mal.
Moore versucht mit seinem Watchmen-Epos die moralische Fragwürdigkeit des Superheldengenres auf den Kopf zu stellen, ohne dabei eine Antwort zu liefern. Vielmehr liefert er verschiedene Perspektiven, aus denen der Leser sich sein eigenes Bild schaffen muss… oder auch nicht. Bunte Bilder laden ja manchmal dazu ein sein Hirn lieber erst mal auf Sparflamme zu betreiben, bis man es wieder benötigt, um sich zwei Bier an der Tankstelle zu kaufen.
Moores vorliegendes Werk ist cleverer als Albert Einstein (bei dem Dr. Manhattan sogar mal eine Vorlesung besucht hat), detailgetreuer als die Kunstwerke von Pieter Brueghel d. Ä. und politisch stimulierender als John Rawls „A Theory of Justice“. Wer das für übertrieben hält, hat wahrscheinlich Recht, trotzdem bleibt Watchmen vor allem eines – unheimlich unterhaltsam!
‐ AFMBE
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