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Winnetou im Tal der Ahnungslosen

verfasst am 28.Dezember 2016 von Markus Haage

Derzeit sind Filterblasen und Fake News in aller Munde. Auch wenn man diese fast nur mit politischen Inhalten in Verbindung bringt, trifft dies vermehrt auch auf den kulturellen Bereich zu. Dies musste ich heute erst selber feststellen. Es gibt offensichtlich einen neuen Winnetou, in meiner Welt bis vor wenigen Stunden allerdings nicht. Es folgt ein Gedankengang aus dem neuen digitalen Tal der Ahnungslosen.

Neue Darsteller für alte Charaktere.
(Foto: Nikola Predovic, © RTL)

Ein Bekannter postete auf Facebook heute Abend einen Beitrag über eine Neuverfilmung von Karl Mays „Winnetou“. Die Verfilmungen aus den 1960er-Jahren mit Pierre Brice gelten als Klassiker der deutschen Film- und Fernsehgeschichte. Ich war von ihnen nie ein großer Fan, sie kamen vielleicht einfach zu spät für mich. Dennoch erkenne ich ihren popkulturellen Wert durchaus an. Man muss die Filme nicht mögen, man sollte sie aber kennen. Ansonsten verschließen sich automatisch viele kulturelle und gesellschaftliche Referenzen. Zu behaupten, dass „Winnetou“ Kulturgut ist, halte ich für absolut legitim. Seien es die Bücher von Karl May, die erwähnten Verfilmungen, die unzähligen Theateraufführungen in Bad Segeberg oder gar die vielen, vielen Persiflagen (und sei es nur „Der Schuh des Manitu“ von 2001, immerhin einer der erfolgreichsten deutschen Kinofilme aller Zeiten). Der Mythos Winnetou stellt einen bedeutenden Teil der populären deutschen Kulturgeschichte dar. Wenn man sich also an eine Neuverfilmung wagt, so müsste diese eine große Aufmerksamkeit generieren. Vor zehn Jahren wäre dies sicherlich auch der Fall gewesen, doch heutzutage scheint dies anders zu sein …

Ich beschäftige mich täglich mit dem Thema Film, ob on- oder offline und ich sage es frei heraus: Ich habe von der Neuverfilmung nur am Rande etwas mitbekommen. Ich meine vor ein, zwei Jahren mal eine News gelesen zu haben, die diese Neuverfilmung thematisierte. Erinnerungen an nennenswertes Werbematerial fehlen. Ich meine mich daran erinnern zu können, dass ich irgendwo und irgendwann ein Filmbild sah, letztlich blieb davon aber nichts hängen. Als ich heute Abend im privaten Facebook-Stream eines Bekannten (durch puren Zufall) las, dass die Neuverfilmung von „Winnetou“ auf RTL laufen wird, war ich komplett überrascht. Und hierbei handelt es sich nicht nur um einen simplen TV-Film, nein, es ist ein Dreiteiler, demnach im Grunde ein Event.

Ein bekanntes Motiv der Werbekampagne zur Neuverfilmung.
(© RTL)

Man könnte nun meinen, dass die Werbeabteilung von RTL oder dem produzierenden Studio versagt hat, aber das wäre eine zu einfache Erklärung. Wie eingangs erwähnt, befinden wir uns im Zeitalter der digitalen Filterblasen. Alles, was uns beispielsweise als Werbung auf Webseiten oder aber auch im Facebook-Stream angezeigt wird, wird strengstens nach unserem Surfverhalten gefiltert. Aber diese Filter können eben nur aufgrund des eigenen Verhaltens, aber eben nicht aufgrund des eigenen Interesses funktionieren. Nie habe ich bewusst nach “Winnetou” gesucht, weder nach Karl Mays Buchvorlage noch nach den klassischen Verfilmungen (zumindest fällt mir auf Anhieb kein Moment ein). Es ist richtig, die Filme liegen tatsächlich nicht wirklich in meinem Interessenbereich. Das System und sein Algorithmus hat damit perfekt und fehlerfrei funktioniert, aber eben vielleicht etwas zu perfekt. Es wurde eine Art Schutzwall um mich herum errichtet. Neuigkeiten vom Film drangen nicht zu mir durch.

Natürlich interessiert mich eine Neuverfilmung des Stoffes. Ich fiebere dem nicht heiß entgegen, aber wer sich für Kultur (ganz allgemein) interessiert, sollte beispielsweise niemals ignorant anderen Genres gegenüber sein. Wer sich für das Werk von Horror-Altmeister John Carpenter interessiert, sollte sich auch mit den Filmen befassen, die ihn geprägt haben. Als simples Beispiel kann man Howard Hawks’ Western-Klassiker “Rio Bravo” heranziehen, von dem Carpenter mit “Assault – Anschlag bei Nacht” (“Assault on precinct 13”, 1976) de facto ein Remake inszeniert hat. Auch Carpenters spätere Werke, wie etwa “Die Klapperschlange” (“Escape from New York”, 1981) oder “Vampires” (1998), bedienen sich zahlreicher typischer Motive des Westerngenres. Was ich damit sagen will: Alles ist miteinander verbunden, alles geht ineinander über, alles ist voneinander inspiriert. Die Kunst bedient sich der Kunst. Wenn ein solch bedeutendes literarisches Werk wie Karl Mays “Winnetou” neu verfilmt wird, besitze ich ein Interesse dafür. Ich muss das Produkt am Ende nicht mögen, aber natürlich will ich es kennen. Alles andere wäre ignorant. Nur dringt es nicht mehr zu mir durch. Die Neuverfilmung von “Winnetou” ist nur ein drastisches, singuläres Beispiel, bei dem mir persönlich bewusst geworden ist, wie stark die Welt, die wir mittlerweile wahrnehmen, gefiltert ist.

Manch einer wird nun sagen, dass es auf ihn oder sie nicht zutrifft, weil man sich regelmäßig aus unterschiedlichen Quellen informiert. Aber genau hier liegt der Denkfehler, denn man weiß es ja selber nicht einmal. Alles wird gefiltert. Dies war natürlich bis zu einem bestimmten Grad immer der Fall, aber heutzutage wird sogar nach persönlichem Geschmack, Interesse und Verhalten (!) gefiltert. Und dieses persönliche Verhalten wird einem selten selber bewusst. Oftmals erst, wenn man damit direkt konfrontiert wird. Stellt euch vor, ihr wärt 1990 in eine Videothek gegangen und beim Betreten wären all die Filme aus dem Regal (sogar das Werbematerial an der Wand!) verschwunden, die nicht eurem Lieblingsgenre entsprechen, damit man euch gezielt zu euren Interessen lenkt, basierend auf eurem Leihverhalten. Ihr hätte viele, viele bedeutende Werke der Filmgeschichte verpasst. Man hat euch zwangsweise mit Filmen vieler anderer Genres konfrontiert, die nicht in euer Schema passten und dies hat euch zu neuen, anderen Werken geführt und damit eure persönliche Welt erweitert. Natürlich hat der Videothekar auch ausgefiltert, er entschied, welche Filme in seinen Verleih kamen, aber dieser Filter richtete sich an eine große (oder größere) Masse X. Der heutige digitale Filter ist persönlich, er richtet sich nur noch an eine Zielperson.

Heutzutage wird man geschützt. Schutz schafft Geborgenheit, Geborgenheit schafft Sicherheit. Und jeder möchte “sicher” leben. Wir alle ziehen uns in unsere Nischen zurück, nehmen nur noch das wahr, was wir mögen. Aber dies ist bereits das, was wir kennen, und was wir kennen, bringt uns nicht voran. Das ist kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt. Der Algorithmus unterstützt dies. Dieser will von uns nichts Böses, ganz im Gegenteil, er will in der Theorie nur Gutes. Er will die Welt für uns einfacher gestalten und uns nicht mit Dingen belasten, für die wir uns nach unserem Verhalten nicht interessieren. Aber genau hier liegt der Fehler. Die Welt ist eben nicht schwarz und weiß. Es gibt viel zu entdecken, und es ist oftmals das, wofür man sich eigentlich nicht interessiert hat.

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!